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Das blaue Buch - Roman

Das blaue Buch - Roman

Titel: Das blaue Buch - Roman
Autoren: Carl Hanser Verlag
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offenbar seine gesamte Aufmerksamkeit auf die Kuhle an ihrem Schlüsselbein. An diese richtet er sehr ernst das Wort. »Ich … allein, verstehen Sie. Lange Reise vor mir … nicht so unglaublich lang, und es gibt Kino, Shows, Unterhaltung … wahrscheinlich in Wirklichkeit viel zu viel los, um alles mitzukriegen, unangenehme Anzahl von Möglichkeiten – aber vertraute Gesichter …« Er bricht ab und schaut an ihr vorbei, als suche er nach etwas Beunruhigendem, was sich schnell bewegt. Er ist so bleich, dass man an Zerbrechlichkeit, Krankheit denkt. Er seufzt: »Gelegentlich gibt es Momente – wird es , ich bitte um Verzeihung, Momente geben, wenn man gern plaudern würde – wenn ich gern würde. Abgesehen von diesem Moment natürlich, der quälend ist – aber eigentlich gar keine Zeitspanne, eher etwas Festes, vielleicht Flüssiges, das durchquert werden muss. Aber wahrscheinlich wollen Sie gar nicht plaudern, und daher ist alles, was ich gesagt habe … irrelevant. « Der Mann zwinkert, überlegt. »Oder vielleicht … ist Plaudern nicht anspruchsvoll, nicht ablenkend genug.« Er schüttelt kurz den Kopf und macht einen Schritt auf sie zu, wobei sein linker Fuß ganz leicht nach außen schert, nicht unelegant, aber außerhalb seiner Kontrolle. Er geht, als wären seine Schuhe zu steif, oder zu schwer, oder nicht seine.
    Oder als hätte er Angst. Ich würde sagen, er hat Angst. Er geht wie ein Mann auf Glas, auf Eis.
    Er bleibt zögernd stehen. »Sind Sie gut in Mathe?«
    »Verzeihung?«
    »Mathe.« Er lächelt an ihr vorbei, richtet seinen Ausdruck sehr gezielt auf den hartnäckig stummen Rücken ihres Partners. »Arithmetik? Rechnen? Eins und eins macht zwei. Und nicht etwa elf. Oder drei. Im binären System wäre es drei – aber nicht im dezimalen, nicht in dem, das wir zu benutzen gewohnt sind. So viele Arten, so viel zu sagen. Zwei wäre das, womit wir es hier und jetzt zu tun haben.«
    »Ich weiß, dass eins und eins zwei ist, ja.« Sie versucht, ruhig zu lächeln, weil das vielleicht die korrekte Antwort ist.
    Als er sie direkt ansieht, bringt etwas in der Tiefe seiner Augen sie dazu, nach Dereks Hand zu greifen und ihn daran herumzuziehen, bis er neben ihr steht. Elizabeth ist nicht vollkommen überrascht, als sie das nicht entspannt. Sie scheint damit lediglich öffentlich Schwäche zu zeigen, eine Geschmacksverirrung.
    Der Fremde fährt fort, konzentriert sich offenbar darauf, sich selbst in seine Worte zu zwingen, ihre Dichte zu erhöhen, und dabei doch so reglos zu bleiben, wie er kann, ohne das Sprechen einzustellen. »Was wäre dann die Zahl, die sie sich aussuchen würden – nur ein Spiel – können wir ein Spiel spielen? – eine Zahl zwischen eins und zehn – welche würden Sie wählen? – Sie sollten vielleicht gründlich darüber nachdenken, suchen, unpassende Möglichkeiten ausschließen – oder Sie könnten gleich die erste wählen, Ihre erste Wahl, die gleich richtig schien, die unmittelbare Entscheidung. Oder Sie können es sich anders überlegen. Denn das steht jedem frei. Natürlich.«
    Er könnte ein Unterhaltungskünstler sein.
    Entweder sehr erfolgreich oder sehr erfolglos.
    »Nein, wirklich. Machen Sie mir die Freude. Denken Sie wirklich an eine Zahl zwischen eins und zehn. Sie können nichts falsch machen. Sagen Sie mir einfach nur eine Zahl.«
    Er wartet höflich.
    Ein bezahlter Entertainer.
    Er wartet weiter, doch ohne einen Zweifel erkennen zu lassen, dass sie ihm schließlich den Gefallen tun wird.
    »Sieben.«
    »Wirklich? Sieben. Sind Sie sicher?«
    Bühnenkleidung und Täuschung. Eine Nummer.
    Als sie es wiederholt, »Sieben«, klingt sie scharf und hat das Gefühl, einen Teil der Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie wünscht, der Mann würde weggehen.
    Stattdessen lächelt er sie sehr aufmerksam an. »Und noch eine?« Er zeigt ihr geradewegs die Miene eines verständnisvollen Freundes, eines Mannes, dem sie alles sagen könnte, in jeder Weise, von dem sie vollkommen verstanden würde, ein sanfter Mann, ein Gentleman, eine Seltenheit. Er zeigt ihr ein präzises und fein abgemessenes Gefühl der Verbundenheit. Für die Spanne von drei Worten tost und flammt es, ist unvermeidbar. Es tröstet. Zu nichts anderem ist es gemacht. Dann steckt er es weg. »Noch eine? Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    »Zwei.«
    »Und noch eine?«
    Sie spürt Dereks Arm an ihrem lehnen, doch er sagt nichts, um ihr zu helfen. Sie ist diejenige, die spricht. »Fünf. Nein, acht. Acht.«
    »Sie
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