Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Bett

Titel: Das Bett
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
Scham, ein berüchtigter Wollüstling. Das vierte war fein und elegant, von verwundendem Spott, von glänzendem, aber unfruchtbarem Geist, es schmähte den Himmel Tag und Nacht und glaubte an gar nichts. Das fünfte war ein Finsterling, hohläugig und fluchend, voll nachtschwarzer Lästerungen, es stank aus dem Maul und übergoß die anderen mit seiner Verzweiflung. Das sechste hatte eine spitze Nase, es konnte aus schwarz weiß machen, aus gerade krumm, aus Unrecht Recht, es hatte die hurtigste Art zu lügen und war ungerecht auch dann, wenn es ihm nichts nützte. Das siebente platzte fast aus seinem Fell, es würgte noch in sich hinein, wenn es schon fast erstickte, nichts war vor ihm sicher, was nicht angebunden war, sein gieriges Herz war so verwundet, wenn es etwas hergeben sollte, daß es am liebsten auch noch seinen Dreck gefressen hätte.
    Solcher Art waren die sieben Eichhörnchen von Ephesus. Ihr Leben in dem kleinen Haus ihres Großvaters am Rande der Stadtmauer sah aber so aus: Zu jeder Stunde des Tages drang Geschrei, Gestöhn und Gezeter aus dem Häuschen. Die Fensterläden klapperten vor dem Ansturm der leidenschaftlichen Flüche, die sich die sieben bei jeder Gelegenheit ins Gesicht schrien. Da sie das Häuschen niemals verließen, mußten sie sich alle Bosheiten gegenseitig antun, und so stark ihre Hauptlaster auch entwickelt |14| waren, hatte doch jedes noch andere, schwächere Laster, die es für die Tücken seiner Brüder empfindlich machten. So war das zornige auch blind, das wollüstige auch dumm, das gierige war auch schläfrig, das verzweifelte war unvorsichtig, das neidische konnte nicht rechnen, das ungläubige war verrückt und das ungerechte hatte ein schlechtes Gedächtnis. Die Epheser verspotteten diesen Haushalt und rühmten ihre Klugheit, die sie darauf achten ließ, in jeder Wohnung nur einen einzigen schlechten Menschen wohnen zu lassen, oder, wenn dieser Mensch verheiratet sein wollte, allenfalls zwei, und wenn der alten, verwitweten Großmutter der Undank nicht gleichgültig gewesen wäre und sie nicht jeden Tag ein Körbchen mit Spatzeneiern vor dem Haus am Rand der Stadtmauer abgestellt hätte, dann wären die sieben Eichhörnchen bald elend Hungers gestorben.
    Eines Tages, als sie wieder zankend beieinander saßen, kam die Großmutter zur Tür herein und sagte mit ernster Stimme: »All eure Bosheit kann euch nicht nützen, wenn ihr so wie bisher in diesem Häuschen zusammen bleibt. Geht hinaus in die Welt und guckt euch nicht um; Beutel zu schneiden, Kopfnüsse zu setzen und Vogeleier zu trinken gibt es überall auf Erden, und der schlechte Mensch ist am stärksten allein.« Da sahen die sieben Eichhörnchen sich an, hielten im Streit inne, und das erste sagte: »Die Alte ist kein Dummkopf.« Darauf das dritte: »Sie ist schlauer als wir.« Das sechste: »Das sollten wir niemandem erlauben.« Das zweite: »Dann heißt es gepackt und abgereist.« Das fünfte: »Aber vorher dem verfluchten Häuschen die Scheiben eingeschlagen.« Das siebente: »Über das Glück, nicht mehr in eure Fratzen sehen zu müssen.« Das vierte aber sagte: »Hört mich an. Wenn wir uns nun trennen, dann laßt es uns auch so wirksam tun, daß uns kein Zauber jemals wieder zusammenführt. Wir wollen unser letztes Mahl hier mit den Spatzeneiern der Großmutter halten und uns daran erinnern, daß sie allein an unserem langen Zusammenwohnen die Schuld trägt, weil sie es uns erlaubt hat, das Häuschen niemals zu verlassen.« Diese Worte weckten einen großen Zorn in den anderen sechs Eichhörnchen, und da half der Alten kein Zetern und kein Bitten, sie schlugen |15| sie tot und warfen sie in die Grube. Dann beschlossen sie in Einigkeit, wie das letzte Mahl vorzubereiten sei, und verfuhren dabei so: Das erste sollte die Eier in die Pfanne schlagen, das zweite sollte die Tellerchen auf den Tisch stellen, das dritte sollte Messerchen und Gäbelchen daneben legen, das vierte sollte die Gläser nicht vergessen, das fünfte sollte die Fenster verrammeln, damit kein Sonnenstrahl auf den Tisch fiel, das sechste sollte servieren, das siebente sollte ihnen das Essen segnen. Als alle ihre Arbeit getan hatten und sich um den Tisch im dunklen Zimmer versammelt hatten, stand also das siebente auf und sprach: »Ihr könnt euch denken, wie weh es mir tut, auf jedem eurer Teller ein Spiegelei zu sehen, das eigentlich mir zugekommen wäre und das euch im Halse stecken bleiben möge. Wer von euch das Ei weich liebt, dem möge ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher