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Das Auge des Ra

Das Auge des Ra

Titel: Das Auge des Ra
Autoren: Thomas Knip
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diffusen Schein gleichmäßig über das Tal verteilte.
    Er schüttelte unwillkürlich den Kopf. Wie selbstverständlich hatte er sich auch nach einer Pyramide umgesehen, oder zumindest einer überlebensgroßen Statue. Doch bei aller stillen Getragenheit wirkte der Gebäudekomplex eher schlicht und einfach.
    Nur wenige Menschen begegneten ihnen. Selbst am Eingang des Tals hatte Talon auf den vereinzelten Feldern kaum jemand arbeiten gesehen. Alles wirkte, als hätten hier früher weitaus mehr Menschen gelebt. Doch keines der Häuser machte einen zerfallenen oder heruntergekommenen Eindruck.
    Die Menschen betrachteten Talon mit nicht minder großem Erstaunen wie er sie selbst. Manche von ihnen hatte eine leicht dunklere Haut als seine Wächter, dennoch hatten auch hier die meisten eine helle, kaum getönte Hautfarbe. Ihre Kleidung wirkte ebenso wie die der bewaffneten Männer wie aus einer vergangenen Zeit. Selbst in den entlegensten Dörfern Afrikas, die Talon gesehen hatte, hatten sich zumindest Anzeichen der modernen Welt finden lassen. Doch hier wies nichts darauf hin, dass sich die Zeit fortbewegt hätte.
    Sie wurden auf ihrem Weg zu einem der zentral liegenden Gebäude von niemandem behelligt. Eine breite Treppe aus flach verlaufenden Stufen führte langsam nach oben. In regelmäßigen Abständen standen links und rechts auf Podesten breite Ölbecken, deren schwere Kupferwände vom Ruß längst geschwärzt waren.
    Noch bevor sie das obere Ende der Treppe erreicht hatten, erschien im Schatten der dunklen Türöffnung ein hagerer Mann mittleren Alters, der über seinen Rock einen Überwurf aus gelbem Stoff trug. In der rechten Hand hielt er einen bodenlangen Stab, der am oberen Ende leicht geschwungen war. Demonstrativ streckte er ihn von sich und winkte Nefer herbei, der sich bereits auf der Treppe leicht vor ihm verbeugte.
    Als der kräftig gebaute Mann dem hageren gegenüber stand, kreuzte er die Hände vor der Brust und verbeugte sich tief. Danach führten die Männer ein Gespräch, von dem Talon nichts verstehen konnte, da seine Gruppe mehrere Meter unterhalb des oberen Absatzes warten mussten. Dennoch blieb ihm der interessierte und nachdenkliche Blick des Hageren nicht verborgen, mit dem er ihn mehrmals bedachte.
    Schließlich nickte dieser und verschwand im Inneren des Gebäudes. Ohne eine weitere Regung blieb Nefer am oberen Treppenende stehen und verharrte. Es dauerte einige Minuten, bis der hagere Mann wieder im offenen Türrahmen erschien. Bereits durch die Gesten war Talon klar geworden, dass er nach oben kommen sollte. Doch erst, als ihm Nefer mit einer ruckartigen Bewegung der Hand einen Hinweis gab, löste er sich aus seiner Gruppe, immer taxiert von den lebendigen, fast schwarzen Augen des hageren Mannes.
    Er reichte Talon kaum weiter als bis zur Brust. Um seinen Kopf trug er einen dünnen Reif aus Gold, der an der Stirnseite mit einer Sonnenscheibe und einer gewundenen Schlange verziert war. Ein leichtes Lächeln schien seine Lippen fortdauernd zu umspielen.
    „Komm mit“, wies er Talon an und machte gleichzeitig eine dementsprechende Handbewegung. Kurz nur sah sich der hochgewachsene Mann nach Nefer um, der sich umdrehte und kommentarlos zu seinen Männern ging. Doch direkt als Talon den nachtdunklen Raum betrat, dessen hohe Decke sich im Dämmerlicht der zahlreichen brennenden Ölbecken verlor, wurde er von zwei Wachen flankiert, die durch einen Brustpanzer aus polierten Metallplättchen geschützt waren und in ihrer Hand ein Schwert mit einer kurzen aber schweren Klinge trugen.
    Ohne ein Wort mit ihm zu wechseln, durchschritt der hagere Mann die säulenbewehrte Halle, deren Luft von Weihrauchdämpfen erfüllt war, denen außerdem ein süßlicher Beigeschmack anhing. Talon merkte, wie ihm schwindlig wurde. Fast glaubte er, im Hintergrund engelsgleich die Stimmen junger Frauen singen zu hören, doch er konnte nicht sagen, ob das nicht bereits auf einen beginnenden Rausch zurückzuführen war.
    Durch mehrere schmale Gänge wurde er in einen karg eingerichteten Raum geführt, der im Vergleich zur Halle äußerst klein wirkte. Über einen Tisch aus dunklem Ebenholz gebeugt betrachtete sich ein Mann im Licht einer kleinen Ölpfanne ein pergamentartiges Schriftstück, auf das er an den Rand etwas mit einer Rohrfeder notierte.
    Als er die Ankömmlinge bemerkte, hielt er in seiner Arbeit inne und wies durch mehrere Handbewegungen die Wachen an, vor dem Raum zu warten sowie den hageren Mann an, sich im
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