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Das Auge des Ra

Das Auge des Ra

Titel: Das Auge des Ra
Autoren: Thomas Knip
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zweiter der Männer hob den linken Arm mit dem schmalen Schild aus geflochtenen Korb schützend vor sich. Talon hörte die gellenden Rufe, die um Gnade flehten. Doch der Mann machte keinen Versuch, sich mit seiner Waffe zu wehren. Genauso wie die Männer um ihn herum nicht bereit waren, ihm zur Hilfe zu eilen, sondern sich ehrfurchtsvoll zurückhielten.
    Talon zuckte vor, um dem Mann zu helfen. Doch die kräftige Hand Nefers packte ihn an der Schulter und hielt ihn zurück. Wütend warf Talon den Kopf herum und sah in die kompromisslosen Augen des Hauptmanns, der die Spitze seines Kurzschwerts auf seinen Gefangenen gerichtet hatte.
    Die Schreie des Mannes ebbten ab, und genauso schnell wie der Schatten aus dem Dschungel aufgetaucht war, verschwand er auch wieder in ihm. Talon hatte Nayla deutlich erkennen können, denn ihre fast schwarzen Haare umloderten ihren löwenhaften Kopf wie ein düsteres Feuer.
    Nach mehreren Minuten erst entspannte sich Nefers Haltung, und er löste seinen Griff um Talons Schulter. Dieser bedachte den Mann nur mit einem glühenden Blick und konnte sich nur schwer zurückhalten. Er sah, wie die Männer ihre beiden getöteten Kameraden untersuchten und nun ihrer Trauer freien Lauf ließen.
    „Du verstehst es nicht, nicht wahr?“, ging Nefer auf Talons offensichtliche Wut ein. „Sekhmet hat ihren Durst nach Blut gestillt. Dazu hat Ra sie erschaffen. Um die Menschen zu strafen. Wer sind wir, dass wir sie aufhalten?“
    „Und das heißt, du lässt zu, dass zwei deiner Männer getötet werden?“, presste Talon nur schwer zwischen seinen Lippen hervor.
    „Ja“, kam die einsilbige Antwort.
    „Wenn es ihr Wille ist, wird keiner von uns Dar Amun erreichen“, schickte er noch nach. Trotz seiner Beherrschtheit war sein Blick dabei fest auf den Boden gerichtet. Talon hielt sich nur mühsam unter Kontrolle. Es schien, als sei er hier auf eine fanatische Sekte gestoßen, die einem uralten Ritus folgte und dabei bedenkenlos bereit war, den Tod von Menschen in Kauf zu nehmen.

    Nach einer knappen Stunde gelangte die Gruppe ohne weitere Zwischenfälle an eine schroffe Felswand, die sich monolithisch aus der Erde schob, ohne dass sich ein sanfter Übergang zum Boden gebildet hätte. An den tiefer liegenden Überhängen hatten sich kleine Pflanzen und Schlinggewächse angesiedelt. Mit ihren dunklen Schattierungen hoben sie sich deutlich vom lichten Moosbewuchs ab, der den feuchten Stein bedeckte.
    Die Männer folgten der schmalen Schneise, die sich zwischen Fels und Dschungel auftat, und erreichten bald darauf einen kaum zu erkennenden Spalt in der Wand, der kaum breiter war als zwei Meter. Weit über sich konnte Talon den hellen Schein des Tageslichts wie ein dünnes Band erkennen, das ihm den Weg durch den Spalt wies. Ein kleiner Bach, dessen Ursprung sich hinter ihnen in den riesenhaften Bäumen verlor, schlängelte sich mit seinem brackigen Wasser am Rand des Fels entlang und folgte dem Weg, den nun auch die Männer nahmen.
    Ein kalter, leise aufheulender Wind jagte durch den schmalen Canyon hindurch. Talon konnte von den Männern um sich herum kaum mehr erkennen als ihre silhouettenhaften Gestalten, die schweigsam dem Pfad folgten, der sich in leichten Windungen durch den Fels zog. Die Schritte ihrer nackten Füße hallten dumpf auf dem feuchten, steinigen Boden wider. Das Geräusch mischte sich mit dem versteckt wirkenden Plätschern des Wassers zu einem monotonen Gleichklang, der die Männer auf ihrem Weg, der sie leicht bergab führte, begleitete.
    Es dauerte gut zehn Minuten, bis sich der Spalt ohne großen Übergang öffnete und den Blick auf einen Talkessel freigab, in dem die Zeit stehen geblieben zu sein schien. Auf mehreren Ebenen verteilt standen flache Lehm- und Ziegelbauten, die umgeben waren von karg bewachsenen Feldern. Doch das Zentrum des Kessels wurde durch eine Gruppe hoch aufragender palastartiger Bauten eingenommen, die mit ihrem hellen Putz und der bunten Verzierung am oberen Ende der Außenmauern so wirkten wie Kulissen für einen Sandalenfilm, die eine Filmcrew hier vor langer Zeit vergessen hatte.
    Eine Allee aus hoch aufragenden, mit zahlreichen Reliefs aus Hieroglyphen verzierten Säulen säumte den Weg zu dem Palastkomplex, der mit blank gescheuerten Platten aus einem granitartigen Material gepflastert war.
    Talons Blick ging nach oben. Weit über ihm verfing sich das Tageslicht in einer undurchdringlich scheinenden Decke aus Dunst und Wolken, die das Licht in einem
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