Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition)
Autoren: Daniel Dekkard
Vom Netzwerk:
Abschluss. Aber was bedeutet das?“
Ich besaß selbst nur eine ungefähre Vorstellung davon. So lenkte ich das Gespräch zunächst auf jenes schicksalhafte Finale in der Felsenpagode.
„Das meiste ist aus meiner Erinnerung gelöscht. Immerhin war ich tot“, sagte er. „Müsste eigentlich tot sein.“
Er öffnete sein Hemd. Über die Bauchdecke zog sich eine schwarzrote, gezackte Narbe, dort, wo ihn der Dolch durchbohrt hatte.
„Nini erzählte, dass sie alle wie von Sinnen waren. Aus der Fassung gebracht von dem Unheimlichen, das sich dort ausbreitete. Das schreckliche Geschrei, das Licht, groteske Konturen.“
Aus seinem Mund erfuhr ich Ninis Wiedergabe der Ereignisse.
    Der s chwarze Schatten brach in sich zusammen, nachdem sie Leonard daraus hervor gezerrt hatten. Eine alles verschluckende Stille folgte, schrecklicher als das Höllenspektakel zuvor. Dunkelheit fiel, als das Licht des Mondes über der Spitze der Pagode hinwegzog. Sie packten Leonards Körper und flohen, irrten tagelang durch den Dschungel, ohne jede Orientierung. Dabei verloren sie, was sie bei sich trugen. Und wenig später wurden sie durch einen Unglücksfall, den Nini nicht eingehender beschrieben hatte, von Meister Sen getrennt. Den weisen Chinesen sahen sie nie wieder.
„Was ist mit diesem Oren Kavenay geschehen? Ich habe Nachforschungen angestellt. Absolut kein Hinweis. Als hätte der Mann nie existiert.“
„Vielleicht trifft das ja zu.“
Nervös zuckten Leons Mundwinkel, auf seinen Worten lastete die Düsternis.
„Wer weiß, ob ich den Eindrücken trauen kann, als ich da drinnen war.“
Für kurze Zeit verstummte er, sammelte sich.
„Er war dort, vor mir. Aber es waren mehrere Kavenays, miteinander verschmolzen, sich gegenseitig durchdringend. Als ich den Dolch greifen wollte, zerbrach er wie Glas und ich hielt diesen Stein in der Hand. Und dann ...“
In fernste Ferne entrückt schwieg er. Außer der Stichwunde hatte ich noch längliche Narben entdeckt, die sich an seinem Oberkörper hinaufzogen. War ihm dieses Ding begegnet, der Unabwendbare? Der Verdunkler, der die Sicht auf das Zukünftige verwehrte?
„Die anderen sagten, Kavenay sei nicht mehr herausgekommen. Was mich rettete, konnte sich niemand erklären. Manao behauptet, es sei dieser Stein gewesen, die Träne des Buddha.“
Er stockte und ich gewährte ihm die Pause.
„Ich war sicher, tot zu sein“, setzte er wieder an. „Dies ist das eine, das Einzige, was mir geblieben ist. Ich war auf der anderen Seite . Die Dinge, die ich dort sah. Herrgott.“
Mit Mühe brachte er ein plötzliches, heftiges Zittern, das seine Hände befiel, unter Kontrolle.
„Ich erkannte mit aller Deutlichkeit, dass Martha und Evan nicht meine Eltern waren. Keine Ahnung, wieso. Es hing irgendwie mit diesem Albtraum zusammen. Das schwarze Gebirge, das junge Paar in dem Auto, die geisterhafte Gestalt, die vor ihnen herabstürzte. All das habe ich dort auch gesehen. Das Erlebnis, als ich in diesem schwebenden Schatten steckte, war so unfassbar real. Wie in meinen Träumen sah ich es aus allen Perspektiven. Sogar das Schild am Wegrand.“
„Weil es dort war. Weil es dieses Gebirge wirklich gibt. Das Schild wies auf einen Ort in den italienischen Abruzzen“, sagte ich. „San Grosso.“
Ungläubig starrte er mich an.
„Wie können Sie das wissen?“
„Denken Sie an die Erfahrung von Nahtod-Patienten. Das ganze Leben zieht in Sekunden an ihnen vorüber. Es ist kein Albtraum. Es ist Ihre früheste Kindheitserinnerung.“
Die Erkenntnis schlug ihm hart ins Gesicht.
„Diese Gestalt war meine Mutter. Sie hat sich das Leben genommen, stürzte sich von den Zinnen einer Abtei. Nur kurz, nach dem sie mir dort das Leben geschenkt hatte. Und das junge Paar in dem Wagen. Mein Gott, sie waren in ihren Flitterwochen.“
„Evan und Martha Finney. Die Sie dann adoptierten und mit nach England nahmen. Sie haben Ihnen von dieser grässlichen Geschichte nie erzählt, nicht wahr?“
Hier lag der Grund, warum manche in ihm stets zwei Persönlichkeiten vermuteten. Tief in seinem Unterbewusstsein war das Geheimnis seiner wahren Herkunft verankert, kochte als Albtraum an die Oberfläche, drang, für wenige sichtbar, in kurzen Momenten nach außen.
Sein blasses Gesicht riet mir, uns Drinks zu holen, bevor ich ihm erzählte, was ich vor kurzem erst herausfand. Warum er sich, einer letzten Intuition folgend, nun Lombardi nannte. Bei meinen Nachforschungen war mir dieser Name begegnet.
Flora
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher