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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind
Autoren: Das andere Kind
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kleineren
    Wohngemeinschaften zusammen und bezogen Wohnungen, die der Universität gehörten und für eine
    geringe Miete zur Verfügung gestellt wurden. Amy hatte sich selbst immer wieder einzureden
    versucht, dass ihr Unterkriechen bei der Tante nur natürlich und von Vorteil war, denn gar
    keine Miete war noch immer weniger als eine geringe Miete, und sie wäre dumm gewesen, sich
    anders zu entscheiden. Die bittere Wahrheit jedoch war: Sie hatte überhaupt keine Clique, mit
    der sie sich hätte zusammentun können. Niemand hatte sie je gefragt, ob sie diese oder jene
    Wohnung mit dieser oder jener Gruppe hätte teilen mögen. Ohne die alte Tante mit dem leer
    stehenden Gästezimmer hätte es düster ausgesehen, und die Wohnfrage wäre ein echtes Problem
    geworden, jenseits noch eines möglichen Kostenproblems. Aber darüber mochte Amy am liebsten
    überhaupt nicht nachdenken.
    Vom Ende der
    Brücke waren es nur noch ein paar Schritte bis zu den Parkanlagen. Gewohnheitsmäßig wandte sich
    Amy nach rechts, wo die Treppe nach oben begann. In der Wegbiegung stand ein neues Haus, an dem
    in diesen Wochen die letzten Baumaßnahmen vorgenommen wurden; es war nicht recht ersichtlich,
    ob das Gebäude einmal Menschen als ein Zuhause oder der Gemeinde Scarborough zu irgendeinem
    anderen Zweck dienen sollte.
    Amy ging mit
    schnellen Schritten daran vorbei und prallte dann zurück: Zwei der großen, aus Draht
    geflochtenen Bauzäune, die das Haus umstellten, blockierten nun die Treppe, ebenso wie den ein
    Stück weiter dahinter verlaufenden Serpentinenweg, der eine Ausweichmöglichkeit dargestellt
    hätte. Der gewohnte Durchgang war gesperrt. Man hätte sich seitlich vorbeidrücken können, doch
    Amy zauderte. Am Nachmittag, als sie sich in brütender Hitze auf den Weg in die Fußgängerzone
    gemacht hatte, wo sie einiges hatte erledigen müssen, ehe sie den Dienst bei Mrs. Gardner und
    ihrer Tochter angetreten hatte, war der Weg noch frei gewesen. In der Zwischenzeit hatte es ein
    heftiges Gewitter und einen fast sintflutartigen Wolkenbruch gegeben. Möglicherweise waren die
    Treppe ebenso wie die Serpentine dabei beschädigt worden. Stufen ausgehöhlt und eingebrochen.
    Erde weggeschwemmt. Befestigungen abgerissen und Geröll hinweggespült. Es mochte gefährlich
    sein, diese Wege zu benutzen.
    Außerdem war es
    offensichtlich verboten.
    Amy war nicht
    der Typ, der sich über ein Verbot einfach hinweggesetzt hätte. Sie hatte immer gelernt, sich
    den Obrigkeiten zu fugen, ob sie deren Anordnungen nun verstand oder nicht. Es gab Gründe, und
    das reichte. In ihrer aktuellen Situation vermochte sie sich die Gründe sogar
    vorzustellen.
    Unschlüssig
    wandte sie sich um.
    Es gab noch weitere Wege, die in die Esplanade Gardens, dieses Labyrinth für
    Spaziergänger, hineinführten, aber auf keinem von ihnen konnte sie schnell und direkt nach oben
    auf die Straße und damit wieder in die Nähe menschlicher Behausungen gelangen. Der unterste Weg
    führte in die direkt entgegengesetzte Richtung, nämlich zum Strand hinab und dann zum Spa
    Complex, einer Ansammlung viktorianisch anmutender Gebäude, die direkt am Wasser lagen und der
    Stadt für kulturelle Veranstaltungen jeder Art dienten, nachts jedoch hermetisch verschlossen
    und nicht einmal von einem Nachtwächter besetzt waren. Vom Spa Complex aus gab es Seilbahnen, die den Hang hinauf verliefen und vor
    allem ältere Herrschaften transportierten, die sich nicht mehr durch die in Fels gehauenen,
    äußerst steil verlaufenden Gärten plagen mochten. Etwa eine halbe Stunde vor Mitternacht
    standen die Gondeln jedoch still, und in den Fahrkartenhäuschen tat niemand um diese Zeit
    Dienst. Natürlich gelangte man auch zu Fuß nach oben, aber der Anstieg von ganz unten war lang
    und beschwerlich. Der Vorteil dieses unteren Weges lag darin, dass er beleuchtet war: Große
    bogenförmige Laternen, ebenfalls dem Stil der viktorianischen Epoche nachempfunden, spendeten
    warmes, orangefarbenes Licht. Es gab zudem einen mittleren Weg, den schmalsten von allen. Auf
    halber Höhe des Steilhangs führte er eine ganze Weile praktisch eben an diesem entlang, ehe er
    sanft anzusteigen und sich so unmerklich nach oben zu schlängeln begann, dass er auch
    Fußgängern mit wenig ausgeprägter körperlicher Kondition ein halbwegs komfortables
    Vorwärtskommen ermöglichte. Amy wusste, dass er direkt vor dem Crown Spa Hotel auf die
    Esplanade mündete. Sie würde auf dem mittleren Weg schneller am
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