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Das Amulett von Gan (German Edition)

Das Amulett von Gan (German Edition)

Titel: Das Amulett von Gan (German Edition)
Autoren: Uwe Buß
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Wellenkreuz, die sein Großvater an einem langen, etwas windschiefen Mast gehisst hatte, der neben dem Tor in die Erde gerammt war. Sein Vater grunzte erneut. Diesmal etwas schärfer. Er fand diese Fahne immer furchtbar grässlich. »Dass er diesen albernen Kram einfach nicht lassen kann«, schimpfte er, und sein Oberlippenbart zuckte dabei verdächtig.
    Finn dagegen, der diese Schrulligkeit seines Großvaters liebte, wusste, was die Fahne bedeutete: Sie wurden erwartet! Die Torflügel standen weit auf, und bald schon fuhr das Auto durch die Einfahrt eines stattlichen Bauernhofes. Neben dem alten Wohnhaus, in dem seine Großeltern lebten, stand eine Scheune mit Stallungen, die aber größtenteils nur noch als Lagerräume genutzt wurden. Tiere gab es nur noch wenige, denn schon vor vielen Jahren hatten seine Großeltern alle Kühe und Schafe abgeschafft. Es hatte sich einfach nicht mehr gelohnt. Finn fand das sehr schade, aber immerhin liefen noch ein paar Hühner und zwei Katzen über den Hof. Hinter einem Zaun meckerten Ziegen, und einen Hund gab es natürlich auch.
    Ein halbes Jahr hatte Finn auf diesen Moment gewartet. Er sprang aus dem Auto und rief: »Opa, Oma!«
    Als Allererstes kam Kalli, der kleine Mischling, angerannt, sprang gleich freudig an ihm hoch. »Halt, nicht so wild«, lachte Finn und streichelte der Promenadenmischung über den Rücken. Da ging auch schon die Tür des Wohnhauses auf und seine Großmutter, eine kleine rundliche Frau mit grauem Haarschopf und strahlenden blauen Augen, lief ihm entgegen:
    »Da ist er ja endlich. Mein lieber Junge. Wie schön!« Sie umarmte Finn ganz fest und küsste ihn auf die Wange. Dann wandte sie sich seinen Eltern zu und drückte seine Mutter an sich, die die Umarmung herzlich erwiderte. Sein Vater ließ sich zwar auch gerne von der Großmutter umarmen, wirkte dabei aber etwas steif. Offensichtlich hatte er immer noch schlechte Laune.
    »Wie immer!«, dachte sich Finn. Seine Großmutter verzog etwas betrübt das Gesicht und dachte sich wohl das Gleiche.
    »Wo ist denn Opa?«, fragte Finn.
    »Oh, der ist auf der Wiese hinter der Scheune. Er wollte noch das Heu wenden, damit es bis morgen auch wirklich trocken wird. Du kannst gerne zu ihm gehen und ihm sagen, dass es gleich Essen gibt.«
    Das ließ sich Finn nicht zweimal sagen. Sofort rannte er los und schon war er um die Ecke. Jeden Winkel des Bauernhofes hatte er bereits erkundet. Trotzdem gab es immer Neues zu entdecken. Der vertraute Geruch von frisch gemähtem Gras stieg ihm in die Nase. Ach, wie schön wäre es, wenn er immer hier leben könnte! Aber das war nicht möglich, da sein Vater als Chemiker in Frankfurt arbeitete. Das war einfach zu weit weg.
    Da sah er schon seinen Großvater auf einem kleinen Traktor sitzen. »Opa!«, rief er, so laut er konnte. Sofort hielt dieser den Traktor an, winkte Finn zu sich und bedeutete ihm, er solle sich doch gleich hinters Steuer setzen. Nichts lieber als das, dachte sich Finn. Schon im vergangenen Sommer hatte der Großvater ihm gezeigt, wie er den alten Traktor zu bedienen hatte. Er kletterte hoch und setzte sich auf den Sitz, während sein Großvater mit der Sitzfläche links daneben vorliebnahm. Finn legte denersten Gang ein und ließ langsam die Kupplung kommen. Der Traktor setzte sich in Bewegung.
    »Super, du kannst es noch!«, rief der Großvater fröhlich und strahlte ihn mit seinen auffallend grünen Augen an, die genauso wie Finns aussahen. Auf dem Kopf trug er eine blaue Seemannsmütze, die seine Glatze vor der Sommersonne schützte. Besonders stolz aber war der Großvater auf seinen langen grauen Rauschebart. Er meinte, dass er die fehlenden Haare auf seinem Kopf ja irgendwie ausgleichen müsse. Im Winter fragten ihn kleine Kinder öfter, ob er der Weihnachtsmann sei. Dann verneinte er lachend und erzählte ihnen eine der kleinen Geschichten, die Finns Vater so sehr verabscheute: Auf einer Reise nach Übersee hätte er einmal Zwerge kennengelernt. Sie hätten ihm erklärt, dass ein langer Rauschebart der ganze Stolz eines Mannes sei und er ohne Bart in ihren Augen fast nackt sei. Da er in den Augen anderer nicht nackt dastehen wollte, habe er sich halt einen Bart wachsen lassen.
    Bald war die letzte Reihe Heu gewendet, und Finn und sein Großvater fuhren zurück zum Bauernhof und gingen in die Küche, wo Großmutter und seine Eltern schon am Tisch saßen. Die beiden Männer gaben sich die Hand, nickten einander kurz zu und sagten »Moin, moin«. Das war
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