Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital
Autoren: Michael Kleeberg
Vom Netzwerk:
Widerstandsgedichte sind wunderbar. Rose und Reseda klingt wie ein Trauermarsch. Wie alle französischen Kommunisten ist er im Grunde seines Herzens ja ein Patriot und ein hoffnungsloser Romantiker gewesen. Diese Gedichte waren seine Art zu kämpfen. Glauben Sie, dass man mit Gedichten kämpfen kann?
    Er öffnete den Mund, sagte aber nichts, befeuchtete sich die Lippen, schloss sie wieder, räusperte sich und zuckte schließlich die Achseln. Ich weiß nicht.

    Nach einer kurzen Pause schloss er an: Aber Sie sprechen schön über Gedichte. Besser als ich. Und die Franzosen kenne ich nicht so gut.
    Verzeihen Sie, wenn ich frage, sagte Hélène. Aber man trifft nicht so häufig Männer, die Gedichte lesen -.
    Ich habe das studiert, unterbrach er sie. Aber ich mag Poesie schon von Hause aus. Schließlich ist Worcester, ist ganz Massachusetts ein Nest von Poeten. Vielleicht die Landschaft. Oder die Historie. Aber der Virus geht sozusagen um, man steckt sich da leicht an. Wozu würden Sie mir denn aus der hiesigen Literatur raten? Oder anders gefragt, wer ist Ihr liebster Schriftsteller?
    Hélène überlegte. Vielleicht am Ende kein Lyriker. Ich glaube, wenn ich wählen müsste, dann würde ich Colette wählen.
    Colette? War das nicht so eine etwas verruchte und frivole Autorin? Entschuldigen Sie meine Unbildung.
    Konnte sie wohl auch sein. Vor allem aber war sie sinnlich. Sinnlich wie die Landschaft oder wie eine reife Frucht oder eine blühende Blume. Lesen Sie einmal die Erinnerungsbücher, La maison de Claudine . Darin beschreibt sie das Haus ihrer Kindheit. Où sont les enfants? heißt das erste Kapitel. Die Mutter ruft das in den Garten hinaus, wie man nach Katzen ruft, wenn das Milchschälchen gefüllt ist. Um sie reinzuholen, um ihre Stimmen zu hören, damit sie weiß, wo sie stecken, und beruhigt sein kann. Où sont les enfants? Wo sind die Ki-hin-der? Sie müssen das singen. Es bricht mir jedes Mal das Herz. Die rosigen Stoffblümchen des Weißdorns, violetter Flieder in einer Steingutvase auf der Fensterbank. Rotweinflecke auf einem Holztisch im Garten, der Wind im Laub, ein
knarrendes Scharnier des Gartentors, der abblätternde blaue Lack, Lichtflecke auf einem weißen Tischtuch unter der Kastanie, die süße Langeweile eines diesigen Sommersonntags nach der Messe in den Wiesen … Ja, ich glaube, das ist meine Welt. Wenn Sie sich in Frankreich einfühlen wollen, lesen Sie das. Natürlich ist es das alte, tiefe, provinzielle Frankreich. Aber außerhalb von Paris lebt es durchaus noch … Wäre Proust eine Frau gewesen, ich glaube, er hätte so geschrieben …
    Ich habe einmal als Junge ein Jahr hier gelebt, sagte der Amerikaner. Ich erinnere mich dunkel.
    Und welchen Lyriker aus Ihrem neuenglischen »Nest« sollte ich entdecken?, fragte sie. Bishop war nämlich mehr oder weniger ein Zufallstreffer. Ich bin nicht so belesen.
    Emily Dickinson werden Sie kennen, natürlich. Wild Nights , das ist ja schon Allgemeingut geworden. Aber kennen Sie auch »Hope« is the thing with feathers - That perches in the soul …? Und Frost? Der ist zwar nur zugewandert, aber vielleicht der neuenglischste von allen. The way a crow shook down on me the dust of snow from a hemlock tree, has given my heart a change of mood and saved some part of a day I had rued … Emerson und Thoreau natürlich, die großen Alten aus Concord. Lowell versteht sich, wenn man von Bishop redet. Stanley Kunitz, der ist bei Ihnen bestimmt nicht bekannt. The year of the cloud, when my marriage failed … Oh, und natürlich E. E. Cummings …
    Er unterbrach sich und schien nachzudenken. Dann zitierte er tonlos, als überfliege er eine Zeitungsmeldung: … bravely of course my father used - to become hoarse talking about how it was-a privilege and if only he - could
meanwhile my - self et cetera … Das kommt von weit her … Es ist Frühling und der bocksfüßige Ballonverkäufer pfeift fern und weh …
    Sie ließen den merkwürdigen Vers nachklingen, dann sagte Hélène: Sie wissen, dass er vermutlich hier war, Cummings?
    Der Amerikaner sah sie an.
    Alle amerikanischen Dichter, die im Ersten Weltkrieg Ambulanz-Fahrer waren, sind hier vorbeigekommen oder vom amerikanischen Hospital aus losgeschickt und eingesetzt worden. Cummings, Dos Passos, Hemingway. Damals gab es nur das Hauptgebäude. Sie haben doch vorn sicher die alten Fotos gesehen.
    Woher wissen Sie das?
    Das hat mir mein Mann erzählt. Er hat sich ein bisschen mit der Geschichte des Krankenhauses
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher