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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital
Autoren: Michael Kleeberg
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sich nicht erinnern. Sie haben mir -, er stockte. Sie waren sehr freundlich. Er blickte zu Boden. Sie haben sich um mich gekümmert, als ich -.
    Aber natürlich! Jetzt lächelte sie im Wiedererkennen das Lächeln, das sie sich seinerzeit versagt hatte. Setzen Sie sich doch. Geht es Ihnen wieder gut?

    Er legte zuerst das Buch ab, bevor er dankte und Platz nahm. So fiel ihr Blick darauf. Oh! Elizabeth Bishop!, rief sie.
    Sagen Sie nicht, Sie kennen Elizabeth Bishop.
    The art of losing isn‘t hard to master , zitierte sie, und sie schwiegen beide kurz. Hilfesuchend irrte sein Blick über den Tisch, dann las er, beinahe vorwurfsvoll: Aragon. Das sind ja auch Gedichte! La Diane Française …
    Er ließ die Worte wie eine Frage in der Luft hängen.
    Es sind Gedichte, die er während der Besatzung geschrieben hat, erklärte Hélène.
    Sie musterten einander. Zwei Leser von Lyrik in der Cafeteria eines Krankenhauses.
    Dann schien ein Ruck durch ihn zu gehen. Entschuldigen Sie, darf ich mich vorstellen? Mein Name ist David Cote. Hélène stellte sich auch vor und reichte ihm die Hand.
    Und woher kennen Sie Elizabeth Bishop?, fragte sie dann, denn sie hatte das Gefühl, wenn sie sich mit Warten und Zuhören begnügte, würde die Unterhaltung schnell versiegen.
    Oh, ich habe sie sogar einmal persönlich kennengelernt, sagte der Mann. Ich komme aus demselben Ort wie sie, Worcester, Massachusetts. Und Sie sind Pariserin?
    Hélène nickte amüsiert, weil Ausländer immer so viel Emphase in diese Bemerkung legen.
    Leben Sie auch hier?, fragte sie.
    Ja, ich arbeite in der Gegend. Und hier bin ich für einen Check-up. Eine Art Generalüberholung. Sie haben es ja selbst mitbekommen, ich - wirklich, vielen Dank nochmal, dass Sie sich um mich gekümmert haben …

    Aber das war doch selbstverständlich, protestierte Hélène. Im Übrigen habe ich gar nichts getan. Ich war viel zu erschrocken …
    Sie haben sich um mich gekümmert. Das ist schon sehr viel, sagte er mit steifem Ernst.
    Sie schwieg ein wenig verlegen, fragte dann: Sind denn die Probleme - ich meine, sind die Ärzte dahintergekommen, haben sie’s im Griff?
    Er winkte ab. Nicht der Rede wert. Aber Sie wissen doch: Wen Ärzte einmal in der Mangel haben …
    Sie lächelte. Kann aber auch sein Gutes haben.
    Er blickte auf die Tischkante und sagte: Aber Sie sehen überhaupt nicht - ich meine, Sie sind doch nicht krank, oder? Verzeihen Sie, ich bin so ungeschickt im Fragen.
    Nein, Gott sei Dank. Krank bin ich nicht. Ich komme wegen einer Schwangerschaft hierher.
    Er warf einen unwillkürlich indiskreten Blick auf ihren Körper.
    Nein, ich bin nicht schwanger, sagte sie leichthin. Genau deswegen bin ich ja hier. Noch nicht.
    Er versuchte ein Lächeln, aber Hélène fiel wieder in jene Bodenlosigkeit in seinen Augen wie beim ersten Mal. Er saß plötzlich steif am Tisch, und auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. Er hielt sich mit beiden Händen an der Tischkante fest, wie um das Gleichgewicht zu wahren. Hélène war auf dem Sprung. Möchten Sie ein Glas Wasser?
    Er schüttelte den Kopf. Schon gut. Danke. Entschuldigen Sie, ich führe mich lächerlich auf. Entschuldigen Sie.

    Als Hélène sah, dass er die Tischkante wieder losließ, stand sie auf. Ich hole Ihnen ein Wasser. Nein, keinen Widerspruch. Bleiben Sie sitzen. Im Weggehen drehte sie sich um. Mit oder ohne Kohlensäure?
    Mit, bitte, rief er ihr zu.
    Als sie mit dem Perrier zurückkam, sah er sie aufmerksam an. Bitte erzählen Sie mir, woher Sie Elizabeth Bishop kennen. So bekannt ist sie ja nicht.
    Gut, antwortete Hélène. Und dann erzählen Sie mir, wie es kommt, dass Sie sie persönlich kannten.
    Abgemacht, sagte der Amerikaner. Und dann klären Sie mich über Aragon auf. Den kenne ich nämlich nur dem Namen nach.
    Ich lese gerne Gedichte, begann sie tastend. Gedichte überhaupt. Ich suche … was suche ich in ihnen? Ich suche nach Sätzen, nach Bildern, die mich wie ein Pfeil im Sprung erlegen …
    Sie sah ihn zweifelnd an, im Bewusstsein, dass diese Dinge im Grunde nicht zu formulieren sind. Er blickte auf sein Glas.
    Ich lese gerne Gedichte von Frauen, weil sie meistens einen anderen Blick auf die Welt haben als Männer und andere Dinge in den Vordergrund stellen. Ich habe von jemandem, der sie übersetzt hat, die von Elizabeth Bishop zu lesen bekommen …
    Sie sah ihn kurz an, aber er blickte noch immer auf sein Glas.
    Sie sind anders als alle französische Lyrik, die ich kenne. Unpathetisch, beiläufig.
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