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Das Amerikanische Hospital

Titel: Das Amerikanische Hospital
Autoren: Michael Kleeberg
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Selbstvertrauen und den letzten Stand der Technik. Die Klinik galt als Institution, zugleich war sie auch als Reiche-Leute-Krankenhaus bekannt, was Hélènes Mann eher als Vorteil auffasste, da bekanntermaßen wohlhabende Menschen in besseren Krankenhäusern eine bessere Behandlung bekommen als arme in schlechten. Er hatte eine private Zusatzversicherung, die dafür aufkommen würde.
    Clamart kannte er nicht. Auch war Clamart mit der Metro von ihrer Wohnung im 11. Arrondissement aus schlecht zu erreichen. Also verabredeten sie einen Termin mit dem Chefarzt der Fivète des amerikanischen Hospitals, einem Doktor Le Goff. Der bretonische Name schien Hélène ein gutes Omen, ihre Familie mütterlicherseits stammte aus der Bretagne, wo sie in ihrer Kindheit
im Haus ihrer Großmutter unbeschwerte Ferien verbracht hatte.
    Doktor Aimé Le Goff war ein schlanker, fast hagerer Fünfziger mit einer spitz zulaufenden Adlernase, sanften Augen hinter einer goldgerahmten Brille, gescheiteltem, glattem grauem Haar und einer ruhigen, leisen, aber festen Stimme.
    An der weißen Wand hinter seinem aufgeräumten Schreibtisch hingen mehrere vergrößerte und gerahmte Fotos, die ihn sowie eine Frau und zwei Mädchen in gelbem Ölzeug an Bord einer schräg im Wind liegenden Yacht auf einem stahlgrauen Ozean zeigten.
    Er hörte ihnen zu, und die Augen hinter der Goldrandbrille und die Mundwinkel lächelten in einer Mischung aus seinen Erfahrungen geschuldeter Ironie und verständnisvollem Mitgefühl. Sie fanden ihn sympathisch und vertrauenerweckend. Er sei, sagte Hélènes Mann nach dem Gespräch, die Art von Arzt, dem man sich bedingungslos anvertraute. Er trug einen weißen Arztkittel, nicht zugeknöpft, sodass darunter Hemd und Krawatte zu sehen waren.
    Auch die Räume der Fivète, wie die reproduktionsmedizinische Station im vierten Stock (dem dritten vom Eingang im Hochparterre aus gerechnet) hieß, waren vertrauenerweckend, hell und freundlich eingerichtet. Die Wände waren in einem weißen Holzrahmenwerk gehalten, in dessen Zwischenräume hellgrauer, von feinen, diagonalen rosa Streifen durchzogener Teppich geklebt war. Dieselbe Farbkombination von Hellgrau und Rosa fand sich in den umlaufenden Friesen wieder, die den Deckenabschluss bildeten. Es gab viele Grünpflanzen,
die meisten in große Bottiche gepflanzt, einige als Hydrokulturen. Die wartenden Paare waren junge, wenn auch nicht mehr ganz junge Menschen wie sie auch, gesund und gepflegt aussehend, manche unterhielten sich dezent, andere hielten einander still die Hand. Sie bildeten eine bunte Mischung quer über die Kontinente hin, es waren erstaunlich viele Nichteuropäer dabei. Die Sekretärin Le Goffs, die sich als Anne-Laure vorstellte, ein blaues Kostüm und eine Perlenhalskette trug, war freundlich und heiter und schien administrative Probleme nicht zu kennen. Das Ganze machte einen ebenso unbürokratischen wie zuversichtlich stimmenden Eindruck.
    Dennoch waren sie zunächst erschlagen von der Menge an Informationen, der Komplexität der Abläufe und den unüberschaubar zahlreichen medizinischen Untersuchungen, die ihnen bevorstanden. Eines war ihnen bald klar, und Hélènes Mann sprach es aus: Der Rhythmus der bevorstehenden Besuche im amerikanischen Hospital war mit einer Vollzeitbeschäftigung Hélènes kaum zu vereinbaren.
    Hélène war gelernte Innenarchitektin. Sie hatte ein BTS in Innenarchitektur an einer Pariser Schule erworben und ein CAP als Polstermöbelrestauratorin an der dem Versailler Schloss angegliederten Fachschule. Sie arbeitete in einem Möbelgeschäft im Faubourg Saint-Antoine, der alten Möbeltischlerstraße, hundert Meter von der Bastille gelegen, als Beraterin, was eine euphemistische Bezeichnung für Verkäuferin war.
    Es brauchte keine langen Gespräche, um zu dem Schluss zu kommen, den ungeliebten Job zu kündigen.
Die Krise hatte es lange schon unmöglich gemacht, als freie Innenarchitektin Aufträge zu bekommen, im Grunde genommen hatte Hélène in ihrem eigentlichen Beruf immer nur schwarz arbeiten können. Die Jobs (der derzeitige war der dritte) in Möbelgeschäften waren notwendig gewesen, solange Hélène alleine gelebt hatte, sie waren es jetzt finanziell nicht mehr, und letztendlich, zu dieser Überzeugung kamen sie rasch, würde Hélène von zu Hause aus mehr Gelegenheit haben, eine für sie befriedigende Arbeit tun zu können, fürs eigene Heim oder für Bekannte und dann später auch für Fremde, die durchs Hörensagen auf sie
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