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Das 2. Buch Des Blutes - 2

Das 2. Buch Des Blutes - 2

Titel: Das 2. Buch Des Blutes - 2
Autoren: Clive Barker
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brodelte hinter seinen Worten. Er lief zur Tür, stolperte im Dunkeln über einen Stuhl. Fluchend und angeschlagen taumelte er in die Nacht hinaus.
    Rums…
    Ohrenbetäubender Donner. Diesmal zertrümmerte er alle Fenster im Haus. Im Schlafzimmer brach einer der Bodenquerbalken und schleuderte Schutt ins untere Stockwerk.
    Judd fand seinen Lover vor der Tür. Der Alte lag nun auf dem Boden, das Gesicht nach unten; die kranken angeschwollenen Finger krallten ins Leere, die bettelnden Lippen drückte er auf die feuchte Erde.
    Mick schaute jetzt auf zum Himmel. Judd folgte seiner Blickrichtung.
    Da war ein Bereich, wo keine Sterne zu sehen waren. Eine Finsternis in Gestalt eines Mannes. Ungeheuerliche, weit ausladende Formen eines menschlichen Körpers, eines Kolosses, der sich emporschwang, um an den Himmel zu rühren. Kein ganz makelloser Riese. Seine Silhouette war nicht klarsäuberlich; sie waberte und wuselte.
    Auch war er augenscheinlich breiter, dieser Riese, als jeder reale Mensch. Seine Beine waren abnorm dick und plump gestaucht, und seine Arme eher kurz. Die sich zur Faust ballenden und wieder öffnenden Hände schienen absonderlich gegliedert und für seinen Rumpf viel zu zart zu sein.
    Dann machte er einen Schritt auf sie zu, hob einen riesigen, ausladenden Fuß und setzte ihn auf die Erde.
    Rums…
    Der Tritt brachte das Dach auf dem Haus zum Einsturz. Alles entsprach der Wahrheit, was der Autodieb gesagt hatte. Popolac war eine Stadt und ein Riese; und er war ins Bergland gegangen…
    Jetzt gewöhnten sich ihre Augen allmählich an das Nachtlicht.
    In zunehmend gräßlicherer Deutlichkeit konnten sie erkennen, wie dieses Ungeheuer gebaut war. Es war ein Meisterstück menschlicher Konstruktionstechnik: ein Mann, von Kopf bis Fuß aus Männern. Oder vielmehr ein geschlechtsloser Gigant aus Männern, Frauen und Kindern. Sämtliche Bürger Popolacs wanden sich und mühten sich ab in dem Körper dieses fleischgestrickten Giganten, ihre Muskeln dehnten sich bis zum Zerreißen, ihre Knochen waren nahe daran zu brechen.
    Die beiden konnten sehen, auf welch subtile Weise die Architekten Popolacs die Proportionen des menschlichen Körpers veränden hatten: daß man dieses Gebilde mehr in die Breite gestaucht hatte, um seinen Schwerpunkt nach unten zu verlagern; daß man seine Beine ins Elefantenhafte vergrößert hatte, damit sie das Gewicht des Rumpfes tragen konnten; daß man den Kopfansatz auf die Höhe der breiten Schultern abgesenkt hatte, um so, logischerweise, die Probleme eines schwachen Halses auf ein Minimum zu reduzieren.
    Ungeachtet dieser Mißbildungen war das Monster grauenhaft lebensecht. Die Körper, die zusammengebunden waren, um seine Oberfläche zu bilden, waren bis auf ihr Gurtzeug nackt, so daß seine Oberfläche im Sternenlicht wie ein einziger riesenhafter Menschentorso schimmerte. Sogar die Muskulatur war, obzwar vereinfacht, trefflich nachgebaut. Sie konnten sehen, wie sich die verstrickten Körper in kompakten Strängen aus Fleisch und Knochen gegeneinanderschoben und auseinanderzogen. Das Menschengeflecht, das den Rumpf bildete, konnten sie sehen: die Rücken wie Schildkrötenpanzer aneinandergepfercht, um den Schwung der Brustmuskulatur darzubieten; die verzurrten und verknoteten Akrobaten an den Arm- und Beingelenken, die sich einrollten und abspulten, um die Regungen der Stadt in Bewegung umzusetzen.
    Mit Sicherheit aber bot den allerunglaublichsten Anblick das Gesicht.
    Wangen aus Körpern; grottentiefe Augenhöhlen, in denen Köpfe starrten, fünf jeweils zu einem Augapfel zusammengebunden; eine breite flache Nase und ein Mund, gesäumt mit Zährten aus kahlköpfigen Kindern, der sich beim rhythmischen Hervorschwellen und Einsinken der Kiefermuskeln öffnete und schloß. Und aus diesem Mund ließ die Stimme des Giganten, jetzt nur noch ein schwacher Abklatsch ihrer früheren Gewalt, ein monotones idiotisches Gelalle erschallen.
    Popolac bewegte sich und Popolac sang, Gab es je in Europa eine Sehenswürdigkeit, die ihm das Wasser reichen konnte?
    Sie schauten zu, Mick und Judd, als ihnen Popolac einen weiteren Schritt näher kam.
    Der alte Mann hatte sich die Hosen naß gemacht. Plärrend und flehentlich sabbernd robbte er fort von dem zugrundegerichteten Haus unter die umstehenden Bäume und schleppte seine toten Beine hinter sich her.
    Die Engländer blieben stehen, wo sie waren, und schauten zu, wie das Titanenspektakel heranrückte. Weder Angst noch Horror erfaßten sie jetzt, nur
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