Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das 2. Buch Des Blutes - 2

Das 2. Buch Des Blutes - 2

Titel: Das 2. Buch Des Blutes - 2
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
losgeschnallt, damit sie in den Wald darunter stürzten.
    Der Gigant war des Mitgefühls nicht fähig. Er kannte nur ein Streben: weiterzumachen, bis es mit ihm zu Ende ging.
    Als die Sonne langsam verschwand, saß Popolac zur Rast auf einem kleinen Hügel und schmiegte schützend seinen Riesenkopf in seine Riesenhände.
    Die Sterne kamen hervor, behutsam wie gewöhnlich. Die Nacht rückte heran, verband barmherzig die Verwundungen des Tages, beschattete die Augen, die zu viel gesehen hatten.
    Popolac erhob sich wieder auf seine Beine und setzte sich donnernd Schritt für Schritt in Bewegung. Gewiß, es würde nicht mehr lange dauern, bis die Ermattung es überwältigte: bis es sich in der Gruft eines abgelegenen Tals niederlegen konnte, um zu sterben.
    Aber eine Zeitlang mußte es weitergehen, jeder Schritt quälender in seiner Langsamkeit als der vorangegangene, während die Nacht schwarz um seinen Kopf strahlte.
    Mick wollte den Autodieb irgendwo am Waldrand begraben.
    Judd hingegen wies darauf hin, daß im nüchterneren Licht des morgigen Tages das Vergraben einer Leiche ein bißchen verdächtig erscheinen könnte. Und außerdem, war es nicht absurd, sich mit einer einzelnen Leiche zu befassen, wo doch buchstäblich Tausende ein paar Kilometer von ihrem Standort entfernt lagen?
    Demzufolge beließ man es dabei: Der Körper blieb liegen, und der Wagen sank immer tiefer in den Graben.
    Sie setzten ihren Fußmarsch fort.
    Es war kalt, und es wurde zunehmend kälter, und sie hatten Hunger.
    Aber die wenigen Häuser, an denen sie vorbeikamen, waren alle verlassen, die Türen versperrt, die Läden verschlossen, ohne Ausnahme.
    »Weißt du, was er hat sagen wollen?« fragte Mick, als sie gerade wieder vor einer versperrten Tür standen.
    »Alles rein metaphorisch…«
    »Das ganze Zeugs über die Giganten?«
    »Irgend so ein Trotzkisten-Geseiche«, insistierte Judd.
    »Das glaub’ ich nicht.«
    »Wenn ich’s dir sage. Das war seine Totenbettrede, hat sich wahrscheinlich jahrelang darauf vorbereitet.«
    »Glaub’ ich nicht«, sagte Mick nochmals und kletterte zur Straße hinauf.
    »Ach, und wieso nicht?« Judd war hinter ihm.
    »Jedenfalls hat er keine Parteidoktrin wiedergekäut.«
    »Willst du damit vielleicht ernstlich behaupten, es schleicht hier irgendwo in der Gegend so’n Riese rum? Du lieber Heiland!«
    Mick wandte sich um. Sein Gesicht war in der Dämmerung schlecht zu erkennen, aber seine Stimme war nüchtern vor Überzeugung. »Ja. Ich glaube, er hat die Wahrheit gesagt.«
    »Das ist hirnrissig. Absolut lächerlich. Nein.«
    Judd haßte Mick in diesem Augenblick. Haßte seine Naivität, sein leidenschaftliches Bedürfnis, jede schwachsinnige Geschichte für wahr zu halten, wenn sie nur einen Hauch Romantik an sich hatte. Und dies hier? Das war das Schlimmste, das Abstruseste…
    »Nein«, sagte er nochmals. »Nein. Nein. Nein.«
    Der Himmel war porzellanglatt und die Silhouette der Hügel pechschwarz.
    »Ich frier saumäßig«, kam’s von Mick aus der Dämmerung.
    »Willst du hierbleiben, oder marschierst du mit mir weiter?«
    Judd brüllte: »Die Tour führt zu nichts und niemand.«
    »Klar ist es ‘n weiter Weg zurück.«
    »Wir kommen bloß tiefer in die Berge rein.«
    »Mach, was du willst! Ich geh’ jetzt.«
    Seine Schritte entfernten sich. Das Dunkel umfing ihn.
    Nach einer Minute folgte ihm Judd.
    Die Nacht war wolkenlos und rauh. Sie schritten voran, hatten den Kragen hochgeschlagen gegen die Kälte; die Füße in den Schuhen waren angeschwollen. Der Himmel über ihnen war eine einzige Sternenparade. Ein Triumph verschütteten Lichts, aus dem das Auge so viele Muster machen konnte, wie seine Geduld es zuließ. Nach einer Weile schlangen sie die müden Arme umeinander, zum Trost und um sich zu wärmen.
    Gegen elf Uhr sahen sie in der Ferne ein Fenster leuchten.
    Die Frau am Eingang des einfachen Steinhauses lächelte nicht, aber sie hatte Verständnis für ihren Zustand und ließ sie herein. Es schien vergeblich, versuchen zu wollen, der Frau oder ihrem gelähmten Mann zu erklären, was sie gesehen hatten. Das Haus hatte kein Telefon, und von einem Fahrzeug war nichts zu sehen; also konnte man, selbst wenn es ihnen irgendwie gelungen wäre, sich verständlich zu machen, nichts weiter ausrichten.
    Mit Pantomimik und Gesichterschneiden erklärten sie, daß sie hungrig und erschöpft waren. Weiterhin versuchten sie zu erklären, daß sie sich verirrt hatten, und sie hätten sich dafür ohrfeigen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher