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Das 2. Buch Des Blutes - 2

Das 2. Buch Des Blutes - 2

Titel: Das 2. Buch Des Blutes - 2
Autoren: Clive Barker
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Gebiet des Übersinnlichen. Das Institut für Parapsy-Aologie der Universität Essex hatte einen Zwanzigjährigen namens Simon McNeal, ein unbeschriebenes Blatt auf diesem Gebiet, als Medium eingesetzt und dabei nahezu zweifelsfreies Beweismaterial für ein Leben nach dem Tode festhalten können.
    Im obersten Zimmer des Hauses, einem erschreckend engen, schlauchförmigen Gelaß, hatte der junge McNeal allem Anschein nach die Toten herbeizitiert, und auf seine Veranlassung hin hatten sie ausführlich Zeugnis von ihren Besuchen abgelegt, indem sie mit hunderterlei Handschriften die fahlen ockerfarbenen Wände beschrieben. Anscheinend schrieben sie, was immer ihnen gerade einfiel. Ihren Namen natürlich und ihr Geburts- und Sterbedatum. Erinnerungsfetzen und Segenswünsche für ihre noch lebenden Nachkommen, merkwürdige unvollständige Sätze, die auf gegenwärtige Qualen hinwiesen und verlorene Freuden betrauerten.
    Manche Handschriften waren unbedarft und häßlich, manche zierlich geschwungen und weiblich. Obszöne Zeichnungen und halbfertige Witze standen neben romantischen Gedichtzeilen. Eine grob hingekritzelte Rose. Kästchen vom »Schiffe versenken«. Eine Einkaufsliste.
    Berühmtheiten waren zu dieser Klagemauer gekommen - Mussolini etwa, John Lennon und Janis Joplin -, aber auch Namenlose, Vergessene hatten sich neben den Großen eingetragen. Das Ganze glich einem Anwesenheitsappell unter den Toten, und er nahm mit jedem Tag an Umfang zu, als habe die Mundpropaganda unter den verlorenen Horden um sich gegriffen und sie aus dem Schweigen herausgelockt, damit sie in diesem armseligen Zimmer ein Zeichen ihrer geheiligten Gegenwart hinterließen.
    Nach einem arbeitsreichen Leben auf dem Feld psychologischer Forschung war Doktor Florescu mit den harten Tatsachende des Mißerfolges wohlvertraut. Es hatte schon fast wieder etwas Angenehmes, sich praktisch mit der Gewißheit zufriedenzugeben, daß sich greifbare Beweise niemals einstellen würden.
    Jetzt, da sie sich einem plötzlichen und sensationellen Erfolg gegenübersah, war sie freudig erregt und verwirrt zugleich.
    Sie saß wie schon die ganzen drei unglaublichen Wochen im größten Zimmer des mittleren Stockwerks, eine Treppe tiefer als das Schreibe-Zimmer, und lauschte mit einer An Ehrfurcht dem tumultartigen Lärm aus dem Obergeschoß; sie wagte kaum zu glauben, daß es ihr erlaubt war, Zeuge dieses Wunders zu sein. Winzige Brocken hatte man schon vorher aufgeschnappt, eher quälend halbgewisse Andeutungen von Stimmen aus einer anderen Welt, aber dies war das erste Mal, daß jener Bereich mit Nachdruck Gehör verlangte.
    Im Stockwerk über ihr hörte der Lärm auf.
    Mary sah auf die Uhr: Es war sechs Uhr siebzehn abends.
    Aus irgendeinem den Besuchern wohlbekannten Grund hielt die Verbindung nie viel länger an als bis sechs. Mary wölbe noch bis halb sieben warten und dann raufgehen. Wie’s wohl diesmal abgelaufen war? Wer wohl heute alles in dieses schäbige Zimmer gekommen war, um seine Zeichen zu hinterlassen?
    »Soll ich die Kameras aufbauen?« fragte Reg Fuller, ihr Assistent.
    »Bitte«, murmelte sie, ganz verwirrt vor Erwartung.
    »Bin gespannt, was heute dabei rauskommt.«
    »Geben wir ihm noch zehn Minuten!«
    »Gut.«
    Oben ließ sich McNeal in die Ecke des Zimmers fallen und betrachtete die Oktobersonne durch das winzige Fenster. Er fühlte sich ein bißchen eingesperrt, so ganz allein an diesem verdammten Ort, aber er lächelte noch immer vor sich hin, jenes schwache, leicht verklärte Lächeln, das selbst das wissenschaftlichste Herz zum Schmelzen brachte - besonders das von Doktor Florescu. O ja, die Frau war betört von seinem Lächeln, seinen Augen, dem verlorenen Gesichtsausdruck, den er für sie parat hatte…
    Es war ein schönes Spiel.
    Wirklich, anfangs war es nichts anderes gewesen — nur ein Spiel. Jetzt wußte Simon, daß sie um größere Einsätze spielten; was wie eine Art Lügendetektor-Test angefangen hatte, hatte sich in einen durchaus ernsthaften Wettstreit verwandelt: McNeal gegen die Wahrheit. Die Wahrheitwar einfach: Erwar ein Schwindler. Er selbst schrieb mit winzigen Bleistiftminenstummeln, die er unter seiner Zunge verbarg, all diese »Geisterschriften« an die Wand. Er polterte laut und schlug um sich und schrie aus keinem anderen Anlaß, als dem blanken Vergnügen an diesem Unfug: Und die unbekannten Namen, die er niederschrieb? Er mußte lachen, wenn er nur daran dachte: Die Namen hatte er aus dem Telefonbuch.
    Ja,
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