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Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman

Titel: Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Letzte, was ich von Chicago zu Gesicht bekam.
    Es war schon ziemlich aufregend, sein Frühstück einzunehmen, während der schwere New-York-Central-Zug durch die Lande raste. Norah hatte ihre Ehrfurcht vor dem Reisen mit dem Zug verloren und unterhielt sich angeregt mit dem farbigen Speisewagensteward.
    » Ja « , sagte Norah, » seit dreißig Jahren lebe ich in diesem Land. War noch ein Mädchen, als ich rübergekommen bin, über den großen Teich, und ganz schön grün hinter den Ohren. Bin dann– habe dann meine erste Stellung in Boston, Massachusetts, angetreten, das war in der Commonwealth Avenue– liebe Güte, wenn ich an die Treppe in dem Haus denke!–, da war die Mutter dieses Jungen noch ein kleines Mädchen. Dann hat sie geheiratet, und sie hat mich mitgenommen, bis nach Chicago, so weit. Herrjemine, hatte ich eine Angst! Hab ernsthaft damit gerechnet, dass uns Indianer überfallen. Iss schön deine Eier auf, mein Schatz « , sagte sie zu mir.
    » Zuerst starb sie « , fuhr Norah fort, » und ich blieb, um mich um das Kind zu kümmern. Dann verschied Mister Dennis. Klapp, einfach so, im Sport-Klub. Und nun habe ich die traurige Pflicht, diesen armen kleinen Jungen zu seiner Tante Mame nach New York zu bringen. Stellen Sie sich vor, erst zehn Jahre alt, und haben tut er weder Vater noch Mutter. « Norah tupfte sich die Augen.
    Der Steward sagte, ich sei sehr tapfer.
    » Zeig ihm die Fotografie von deiner Tante Mame, mein Schatz « , sagte Norah. Es war mir peinlich, aber ich fasste in meine Gesäßtasche und zog das an Carmen erinnernde Bild meiner Tante hervor.
    » Sagen Sie, ist Beekman Place ein anständiges Viertel, in dem ein Kind aufwachsen kann? Der Junge kennt nur das Beste. «
    » Oh ja, Ma’am « , sagte der Steward, » eine sehr anständige Gegend. Mein Vetter hat eine Stellung am Beekman Place. Da wohnen fast nur Millionäre. «
    Von ihrem gesellschaftlichen Erfolg beim Personal des New York Central angespornt, bestellte Norah noch eine Tasse Tee und bedachte die anderen Passagiere fortan mit herablassender Miene.
    Den Rest des Vormittags verbrachten wir in unserem Abteil, das sich auf mysteriöse Weise von einem Schlafzimmer in eine Art Wohnzimmer verwandelt hatte. Norah betete ihren Rosenkranz und fing dann mit ihrer Häkelarbeit an. Nach dem Frühstück hatte sie es fertiggebracht, sich sowohl vor dem Schlafwagenschaffner als auch dem Zugschaffner mit zunehmendem Hochmut darüber zu verbreiten, was für ein sagenhaft bemittelter kleiner Junge ich sei– » genau wie dieser König Soundso von Ruhm Änien oder so « –, der bei seiner Tante Mame wohnen werde, einer geheimnisvollen Frau mit Geld, die in einem Marmorpalais am Beekman Place logiere.
    Es war sechs Uhr, als wir im Bahnhof Grand Central einfuhren. Trotz ihres affektierten Salonwagengetues von eben geriet Norah in dem Gedränge auf dem Bahnsteig unweigerlich in Angst und Panik.
    » Gib mir deine Hand, Paddy « , kreischte sie, » und geh mir um Himmels willen nicht verloren in dieser… « Der Rest der Warnung ging im Lärm unter. Mit der einen Hand an mich geklammert, die andere gegen die Geldbörse in ihrem Korsett gepresst, focht sie einen verlorenen Kampf gegen einen Mann mit roter Schirmmütze, der, ihre Proteste ignorierend, unser gesamtes Gepäck auf einen Handkarren warf und damit abzog. Norah und ich kamen im Laufschritt hinterher.
    Nicht, dass er vorgehabt hätte, unsere Habe zu stehlen. Er rief vielmehr ein Taxi herbei und warf erneut unser Gepäck, diesmal auf den Rücksitz. Wir quetschten uns neben die Koffer in das Taxi, und noch ehe der Mützenträger seine ehrliche Dankbarkeit für die zehn Cent Trinkgeld, die Norah ihm zugesteckt hatte, zum Ausdruck bringen konnte, schlingerte das Taxi hinein in den Straßenverkehr.
    » Bringen Sie uns bitte zum Beekman Place drei « , sagte Norah, » und glauben Sie ja nicht, ich wäre die Unschuld vom Land, die man erst mal rumkutschieren kann, um den Fahrpreis hochzutreiben. «
    Es war immer noch hell draußen und sehr, sehr heiß. Ich weiß nicht, was ich mir von New York versprochen hatte, jedenfalls war ich enttäuscht. Es war kein bisschen anders als Chicago.
    Auf der Park Avenue gab es einen Verkehrsstau, und Norah war außer sich, als sie sah, dass der Gebührenzähler fünf Cents extra berechnete, obwohl der Wagen stillstand. Die Third Avenue stimmte sie trübsinnig, trotz der vielen irisch klingenden Namen; die Second Avenue noch trübsinniger.
    » Und wohin, wenn ich
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