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Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman

Titel: Darling, ich bin deine Tante Mame! - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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Vater jemals etwas gesagt– ich meine, dir von mir erzählt, bevor er starb? «
    Norah hatte mir einmal gesagt, dass man umgehend in die Hölle kommt, wenn man lügt, deswegen schluckte ich und platzte heraus: » Er hat nur gesagt, du seist eine sehr eigentümliche Frau, und in deinen Fängen zu sein, wünsche er keinem Hund, aber in der Not dürfe man nicht wählerisch sein, und du seist meine einzige lebende Verwandte. «
    Tante Mame schnappte nach Luft. » Diese Drecksau « , sagte sie gleichmütig.
    Ich holte mein Vokabelheftchen hervor.
    » Das Wort, mein Lieber, war Drecksau « , flötete sie. » Es wird DRECKSAU geschrieben, und es bedeutet: dein verstorbener Vater. Und jetzt raus hier, und zieh dir was Anständiges an! «
    Meinen ersten Sommer in New York verbrachte ich damit, hinter Tante Mame herzutrotten, das Vokabelheftchen unterm Arm, jeden Nachmittag das » allmorgendliche Plauderstündchen « mit ihr abzuhalten und mich auf ihren literarischen Teegesellschaften, Salons und Cocktailpartys blicken zu lassen. Ich sagte allerdings nur etwas, wenn ich gefragt wurde.
    Auch ihre Gäste benutzten viele neue Wörter, und als der Sommer vorbei war, hatte ich mir einen ansehnlichen Wortschatz angeeignet. Noch immer besitze ich einige dieser Listen mit Wörtern, die ich auf Tante Mames Soireen aufgeschnappt habe. Eine, vom 14 .Juli 1929 , beinhaltet so zufällige Begriffe wie: Tag der Bastille, lesbisch, Hotsy-Totsy-Club, Bandenkrieg, Es, Daiquiri– was ich allerdings falsch schrieb–, Relativität, freie Liebe, Ödipuskomplex– noch ein Wort, das ich falsch schrieb–, mobil, Strandhaubitze– und von da spielte meine Orthografie total verrückt– narzisstisch, Biarritz, psychoneurotisch, Schönberg und nymphomanisch. Tante Mame erklärte mir alle Wörter, die ich ihrer Ansicht nach kennen sollte, und ließ mich sie dann in Sätze einbauen, die ich mit Ito übte, während er seine japanischen Blumengestecke herstellte und dabei kicherte.
    Meine Fortschritte in jenem Sommer 1929 waren bemerkenswert, wenn auch sicher nicht im Sinn der üblichen Eltern- und Familienzeitschriften. Ende Juli wusste ich, wie man einen » lukullischen kleinen Martini « mixte, wie Mr. Woollcott sich ausdrückte, und ich hatte meine Angst vor Tante Mames besonders exaltierten Freunden verloren.
    Tante Mame verbrachte ihre Tage in einer schwindelerregenden unaufhörlichen Abfolge von Shopping, Vergnügungen, Partys bei Freunden, Anproben der ausgefallensten Kleidungsstücke überhaupt– wenngleich ihre eigene Garderobe modisch nur schwer zu übertreffen war–, Theaterbesuchen und Abstechern zu den kleinen experimentellen Bühnen, die in ganz New York wie Pilze aus dem Boden schossen, Einladungen zu Dinnern von diversen intellektuellen Gentlemen sowie Herumschlendern in Galerien mit schwer deutbaren Bildern und Skulpturen. Trotz ihres hektischen und oberflächlichen Lebens fand sie immer noch reichlich Zeit, sich meiner anzunehmen. Zu den meisten Ausstellungen, den Einkaufstouren mit ihrer Freundin Vera sowie zu allen Veranstaltungen, die Tante Mame für ein zehnjähriges Kind als » angemessen, stimulierend und erhellend « erachtete, wurde ich mitgeschleppt. Das betraf ein breites Spektrum.
    Im Grunde lernten Tante Mame und ich uns innerhalb einer Zeitspanne schätzen und lieben, wie sie kürzer und schmerzloser nicht hätte sein können. Dass diese außergewöhnliche Frau mich anziehen würde, so wie sie Tausende andere in ihren Bann gezogen hat, war selbstredend. Schließlich war sie berüchtigt für ihren ungestümen Charme. Sie gab mir zum ersten Mal das Gefühl, eine richtige Familie zu haben. Aber allein schon die Tatsache, dass sie überhaupt für einen unbedeutenden, uninteressanten zehnjährigen Jungen sorgen konnte, erfreute mich immer wieder aufs Neue, wiewohl es mich erstaunte und mir ein ewiges Rätsel blieb. Dennoch bin ich das Gefühl nicht losgeworden, dass sie trotz ihrer großen Beliebtheit, ihrer Interessen, ihres ständigen Herumrennens wahrscheinlich auch ein bisschen einsam war. Ihre Kritiker meinten, ich sei für sie einfach nur ein weiterer Klumpen Ton, den sie formen und modellieren und auf den sie nach Gusto einwirken konnte. Es stimmt, Tante Mame konnte nie der Versuchung widerstehen, sich in das Leben anderer Leute einzumischen. Dennoch bewahrte sie sich eine solide, verlässliche Unabhängigkeit. Für uns beide war es Liebe, und meine Erlebnisse mit ihr waren einzigartig.
    Indes, recht bald senkte sich
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