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Damiano

Damiano

Titel: Damiano
Autoren: R. A. MacAcoy
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die steinerne Wand zu Damiano drang.
    Mit erhitzten Wangen und blitzenden Augen schlängelte sich Damiano von seinem Posten wieder in den Saal.
    »Alusto? Ihm gehören die Weinberge, soweit man sie als solche bezeichnen kann. Warum? Was werden sie tun, wenn sie im Inneren der Stadt sind? Reicht es denn nicht, daß sie die Stadt in der Hand haben?«
    In den Augen des Engels stand ein unbestimmbarer Vorwurf.
    »Warum? Weil Alusto unter der Schirmherrschaft der Savoy er zum reichen Mann wurde. Vielleicht würde auch schon die Tatsache seines Reichtums allein ausreichen. Was sie tun werden? Damiano! Sie werden rauben, plündern und töten, an sich reißen, was sie tragen können, und wieder abmarschieren. Vielleicht werden sie auch alles in Brand setzen, ehe sie weiterziehen.
    Aber ich bin nicht hier, um dich die Sitten und Bräuche des Krieges zu lehren. Das wäre eine schlechte Bildung, denke ich, und leichter anderswo zu erwerben.«
    Er sprach ohne sichtliche Erregung, doch Damiano senkte die Augen. Wider besseres Wissen, beinahe gegen seinen Willen sagte er: »Berührt es dich denn nicht, Seraph? Hörst du nicht die Schreie sterbender Menschen? Das Weinen? Sie verfolgten mich die ganze vergangene Woche, als an der Stadtmauer gekämpft wurde. Gott weiß, daß seit der Pest wenig genug Menschen auf der Welt überlebt haben.«
    Man hätte den Gesichtsausdruck des Engels ironisch nennen können, wäre Ironie etwas gewesen, was auf dem Fundament des Mitleids hätte wachsen können.
    »Ich weiß, daß du sie hörst, Dami. Ich wünschte beinahe, du tätest es nicht, denn wenn die Ohren geöffnet sind, muß sich auch die Seele öffnen, zu ihrem eigenen Schmerz. Aber auch ich höre das Leiden der Menschen. Der Unterschied ist, daß du sie nur hörst, wenn sie laut schreien, während ich sie immer höre.«
    Damiano blickte seinem Lehrer verblüfft ins Gesicht. Er sah das Mitgefühl, das nicht nur der leidenden Menschheit galt, sondern auch Damiano selbst. Er war verwirrt, wußte nicht, warum Raphael sein Mitgefühl an Damiano, den Alchimisten, verschwenden sollte, der jung und wohlhabend war und außerdem guter Dinge.
    »Was soll ich denn tun?« fuhr der Engel fort. Das Gefieder seiner Schwingen plusterte sich auf wie das eines Vogels in der Kälte. »Ich kann das Herz der Menschen nicht verändern, und auch nicht die Geschichte, die der Mensch selbst gestaltet. Ich bin – « und hier breitete er vor sich die Hände aus und hinter sich die mächtigen Schwingen – »in Wahrheit nicht Teil dieser Welt. Ich bin nicht hierher berufen.«
    Damiano schluckte. »Doch, ich habe dich gerufen, Raphael. Gib mich nicht auf. Bitte! Wenn meine Worte deine Ohren beleidigen, dann bedenke, daß ich nur ein sterblicher Mensch bin. Nenne mir meinen Fehler. Ich würde lieber ein Schweigegelübde ablegen, als dich mit meinen Worten beleidigen.«
    Er hob eine Hand und schlug dem Engel aufs Knie, tolpatschig und mit viel zu viel Nachdruck.
    »Ein Schweigegelübde? Das ist ein hartes Versprechen, Dami, und ich kenne wenige Menschen, die dafür weniger geeignet wären als du.« Raphael beugte sich vor, und das goldgelbe Haar fiel ihm in weichen Locken um sein Antlitz. »Ich werde dich nicht aufgeben, mein Freund. Im Vergleich mit der Menschheit bin ich sehr geduldig. Ich habe Zeit, weißt du. Und ich bin nicht so schnell beleidigt, wie du vielleicht glaubst. Aber du darfst von mir keine Antworten verlangen, die den Menschen nicht offenbart worden sind.« Er zog eine goldene Augenbraue in die Höhe, und eine Schwinge streifte die niedrige Decke. »Vielleicht sind sie auch mir nicht offenbart worden.«
    Der Flügel senkte sich wieder und verdunkelte das durch das Fenster einfallende Licht wie ein schneeiger Filter.
    »Außerdem, Damiano, geht es bei den wichtigen Fragen nicht um Gottes Absicht mit uns, sondern um die Pflicht der Seele, und das weißt du doch auch, nicht wahr?«
    Damiano wußte es nicht – jedenfalls nicht in allen Fällen. Ihm lag die Frage auf der Zunge, die nun schon seit drei Jahren stumm wartete – die schreckliche Frage nach der Notwendigkeit der Keuschheit. Dies mußte doch der Moment sein, sie anzuschneiden. Raphael hatte praktisch um eine solche Frage gebeten. Es ging ja dabei nicht um etwas, was den Menschen nicht offenbart worden war, es war nur ein bißchen peinlich. Eine solche Gelegenheit würde sich nicht so schnell wieder ergeben.
    Er hörte ein Scharren und Keuchen auf der Treppe, dann kam seine Hündin in den Saal
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