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Crash

Crash

Titel: Crash
Autoren: J. G. Ballard
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aufwärts gerichteten Handflächen an die Seiten gepreßt hatte, waren mit Blut von den verletzten Knieschei ben besudelt. Er besah sich das Erbrochene an den Aufschlägen seiner Jacke, dann berührte er mit den Händen die Samentropfen, die von dem geborstenen Armaturenbrett perlten. Ich wollte ihn aus dem Wagen ziehen, doch seine straffen Hinterbacken waren zusammengepreßt, als wären sie bei dem Versuch, die letzten Samenspritzer aus den Samenleitern herauszupressen, im Krampf erstarrt. Neben ihm auf dem Sitz lagen die zerrissenen Fotos der Schauspielerin, die ich an jenem Morgen im Büro für ihn angefertigt hatte. Vergrößerte Ausschnittbilder von Lippen und Augenbrauen, Ellenbogen und Achselhöhlen formten ein zerbrochenes Mosaik.
    Für Vaughan waren der Autounfall und seine eigene Sexualität eine endgültige Verbindung eingegangen. Ich erinnere mich daran, wie er Nächte mit nervösen jungen Frauen auf den Rückbänken von Schrottwagen auf Autofriedhöfen zubrachte und sehe fast noch die Fotografien ihrer unsicheren Geschlechtsakte vor mir. Ihre verzerrten Gesichter und verkrampften Lenden wurden wie verblüffte Überlebende einer Unterwasserkatastrophe vom Lichtblitz seiner Polaroidkamera festgehalten. Jene ehrgeizigen Huren, die Vaughan in den durchgehend geöffneten Cafés und Supermärkten des Londoner Flughafens aufriß, waren die nächsten Anverwandten der Patienten seiner chirurgischen Lehrbücher. Im Verlauf seiner einstudierten Werbung um verletzte Frauen, war er besessen von den Drüsenschwellungen und Wunden an den Genitalien.
    Durch Vaughan erfuhr ich die wahre Bedeutung von Verkehrsunfällen, die Symbolik von Peitschenwunden und sich überschlagenden Wagen, die Ekstasen von Frontalzusammenstößen. Gemeinsam besuchten wir das Verkehrsforschungslabor zwanzig Meilen westlich von London und sahen zu, wie genau geeichte Meßwagen gegen große Be tonblocks prallten. Später führte Vaughan dann in seiner Wohnung Zeitlupenfilme der Testkollisionen vor, die er mit einer Schmalfilmkamera aufgenommen hatte. Wir saßen stumm auf Kissen auf dem Boden und betrachteten die lautlosen Zusammenstöße über uns an der Decke. Die wiederholten Szenen kollidierender Autos beruhigten mich zunächst, doch dann erregten sie mich. Wenn ich allein unter dem gelben Schein der Natriumdampflampen auf Autobahnen entlangfuhr, stellte ich mir vor, selbst hinter dem Steuer jener kollidierenden Autos zu sitzen.
    Im Verlauf der folgenden Monate verbrachten Vaughan und ich eine Menge Zeit damit, die nördlichen Umgehungsstraßen des Flughafens entlangzufahren. An jenen warmen Sommerabenden verwandelten sich diese Boulevards in Schauplätze traumatischer Kollisionen. Wir hörten den Polizeifunk mit Vaughans Radio ab und fuhren von einer Unfallstelle zur nächsten. Oft hielten wir unter Bogenlampen, die größere Unfälle beleuchteten, und beobachteten, wie Feuerwehrmänner und Polizisten mit Azetylenbrennern arbeiteten, um bewußtlose Frauen freizuschneiden; oder wir warteten ab, während ein Notarzt sich an einem sterbenden, unter einem Lastwagen festgeklemmten Mann zu schaffen machte. Manchmal wurde Vaughan von anderen Schaulustigen zurückgedrängt, oft mußte er mit dem Personal der Krankenwagen um seine Kamera ringen. Aber mehr als alles andere hielt Vaughan nach Frontalzusammenstößen mit den Betonpfeilern von Brücken und Überführungen Ausschau, nach jenen melancholischen Stilleben mit einem verlassenen, zerschmetterten Wagen am Rand der Grasnarbe, direkt neben einer angeschlagenen Skulptur aus Beton.
    Einmal erreichten wir als erste einen Unfallwagen mit einer verletzten Frau am Steuer. Es handelte sich um eine Kassiererin aus einem Spirituosenladen am Flughafen. Die Frau war in ihren mittleren Jahren, sie saß benommen in dem zerfetzten Fahrerhaus, Glassplitter von der Windschutzscheibe waren wie Juwelen in ihre Stirn eingedrungen. Als sich ein Polizeiauto näherte, dessen Blaulicht weit über die Autobahn pulsierte, beeilte sich Vaughan, um Kamera und Blitz-lichter zu holen. Ich nahm die Krawatte ab und suchte hilflos nach den Verletzungen der Frau. Sie starrte mich wortlos an und legte sich quer über beide Sitze. Ein großer Blutfleck bildete sich auf ihrer weißen Bluse. Als Vaughan die letzte Aufnahme gemacht hatte, nahm er ihren Kopf in beide Hände und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Dann legten wir sie gemeinsam auf die Trage des Notarztwagens.
    Auf dem Rückweg zu Vaughans Wohnung sah er eine Flughafenhure,
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