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Crash

Crash

Titel: Crash
Autoren: J. G. Ballard
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unter den kreisenden Lichtern der Krankenwagen und hielt die Hand ihres Chauffeurs. Vaughan hatte monatelang davon geträumt, mit ihr zu sterben. Als ich mich über Vaughans Leiche beugte, legte sie eine behandschuhte Hand an die Kehle.
    Konnte sie in Vaughans Stellung die Todesart erkennen, die er ihr zugedacht hatte? Während der letzten Wochen hatte Vaughan an nichts anderes als an ihren Tod gedacht, eine Krönungsfeier der Wunden, die er mit der Hingabe eines Earl Marshal in Szene gesetzt hatte. Die Wände seines Apartments nahe den Filmstudios von Shepperton waren übersät mit Fotografien, die er jeden Morgen mit Teleobjektiv von der Fußgängerbrücke über den westlichen Stadtautobahnen und vom Dach des vielgeschossigen Studioparkhauses aufgenommen hatte, wenn sie ihr Hotel in London verließ. Ich stellte Vergrößerungen ihrer Knie und Hände, sowie der Innenseiten ihrer Schenkel und des linken Apex ihres Mundes mit dem Kopierer in meinem Büro für Vaughan her, und ich überreichte ihm die Bündel der Reprodukti onen, als wären es Teillieferungen eines Todesurteils. In seiner Wohnung konnte ich ihn oft dabei beobachten, wie er die Bilder ihres Körpers mit den Fotografien grotesker Wunden zur Deckung brachte, die er aus einem Lehrbuch der plastischen Chirurgie ausschnitt.
    In seiner Vision eines Verkehrsunfalls mit der Schauspielerin war Vaughan besessen von vielen Wunden und Verletzungen, von dem sterbenden Chrom und zerschmetternden Karosserien ihrer Wagen, die in einer frontalen Kollision aufeinanderprallten, welche endlos von Zeitlupenfilmen wiederholt wurde, von identischen Wunden ihrer Körper, vorn Bildnis der Windschutzscheibe, die um ihr Gesicht herum gefror, wenn ihr Kopf wie der einer tot geborenen Aphrodite durch sie hindurchstieß, von der Vorstellung ihrer brechenden Oberschenkel, die gegen den Hebel der Handbremse geschleudert wurden, vor allem aber von den Wunden ihrer Genitalien, ihr Uterus durchbohrt vom heraldischen Symbol des Herstellers, während sich sein Samen über die beleuchteten Armaturen ergoß, die zum letzten Mal Temperatur und Benzinstand der Wagen anzeigten.
    Nur bei solchen Anlässen, wenn er diesen seinen letzten Unfall in meiner Gegenwart beschrieb, war Vaughan wirklich ruhig. Er sprach mit der Zärtlichkeit eines lange getrennten Liebhabers von diesen Wunden und Zusammenstößen. Wenn er Fotos in seiner Wohnung suchte, wandte er sich mir halb zu, so daß mich der Anblick seiner kräftigen Leisten und seines fast erigierten Penis zum Schweigen brachte. Er wußte genau, daß ich ihn niemals verlassen konnte, solange er mich mit seinem eigenen Sex provozierte, den er gelegentlich einsetzte, als wolle er ihn mir gerade in diesem Augenblick entziehen.
    Vor zehn Tagen, als er meinen Wagen aus der Garage gestohlen und vom Zubringer gestürzt hatte, war er eine häßliche, aus einer Falle entflohene Maschine gewesen. Gestern lag sein Körper im Scheinwerferlicht der Polizeiautos am Fuß der Umgehungsstraße und war von einem delikaten Muster aus Blut umrahmt. Die gebrochenen Stellungen seiner Arme und Beine, die blutige Geometrie seines Gesichtes, schienen Parodien der Bilder von Unfallwunden zu sein, die er in seiner Wohnung aufgehängt hatte. Ich betrachtete ein letztes Mal seine blutbefleckten Lenden. Zwanzig Meter entfernt stand die Schauspielerin in den Armen ihres Chauffeurs unter dem kreisenden Licht der Rettungswagen. Vaughan hatte davon geträumt, im Augenblick ihres Orgasmus zu sterben.
    Vor seinem Tod war Vaughan bei vielen Unfällen beteiligt gewesen. Immer, wenn ich an Vaughan denke, erkenne ich ihn in den gestohlenen Autos, die er zu Schrott gefahren hat, sehe deformiertes Metall und Plastik, in dessen Umarmung er sich stets befand. Vor zwei Monaten hatte ich ihn nach einer Übung seines Unfalls unter der Brücke der Umgehungsstraße gefunden. Ein Taxifahrer half zwei zitternden Hostessen aus dem Kleinwagen, mit dem Vaughan kollidiert war, als er aus einer verborgenen Zufahrtsstraße hervorgeschossen kam. Als ich zu Vaughan hinüberrannte, konnte ich ihn durch die zerschmetterte Windschutzscheibe des weißen Kabrioletts sehen, das er vom Parkplatz des Oceanic Terminals gestohlen hatte. Sein erschöpftes Gesicht mit den vernarbten Lippen wurde von gebrochenen Regenbogen erhellt. Ich entfernte die verbeulte Beifahrertür aus ihrer Verankerung. Vaughan saß inmitten von Glassplittern und begutachtete seine Haltung mit nüchternem Blick. Seine Hände, die er mit
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