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Crash

Crash

Titel: Crash
Autoren: J. G. Ballard
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einwirken.
    Vornehmlich wollte ich Literatur über die Gegenwart schreiben. Das im Kontext der späten fünfziger Jahre zu bewerkstelligen, in einer Welt, in der das Piepsen des Sput nik wie das Fanal eines neuen Universums über Funk gehört werden konnte, erforderte völlig andere Techniken als dieje nigen, die dem Romancier des neunzehnten Jahrhunderts zur Verfügung standen. Wenn es möglich wäre, die gesamte existierende Literatur über Bord zu werfen und ohne Wissen um die Vergangenheit völlig neu zu beginnen, so würde j e der Schriftsteller zwangsläufig etwas hervorbringen, das der Science-fiction sehr nahe käme.
    Wissenschaft und Technologie nehmen in unserer Welt einen immer breiteren Raum ein. Sie diktieren in zunehmen dem Maße die Sprache, in der wir denken und sprechen. Entweder wir bedienen uns dieser Sprache, oder aber wir bleiben stumm und ungehört.
    Und doch wurde die Science-fiction in folge eines ironi schen Paradoxons zum ersten Opfer der veränderten Welt, die sie vorhersah und an deren Erschaffung sie selbst akti ven Anteil hatte. Die Zukunft, die von der Science-fiction der vierziger und fünfziger Jahre vorhergesehen wurde, ist be reits unsere Vergangenheit. Ihre beherrschenden Bilder, nicht nur des ersten Mondflugs und der interplanetaren Rei sen, sondern die unserer veränderlichen sozialen und politi schen Beziehungen in einer von der Technologie regierten Welt, erinnern heute an große, ausrangierte Bühnenkulissen. Für mich läßt sich das am ergreifendsten anhand des Films 2001 - Odyssee im Weltall darstellen, der das Ende der heroischen Periode der modernen Sciencefiction versinn bildlicht - die liebevoll erdachten Szenarien und Kostüme und die gewaltige Kulisse erinnern mich an Vom Winde verweht , ein wissenschaftliches Schaugepränge, das zu einer Art historischer Romanze wurde, eine abgesiegelte Welt, in die das grelle Licht der Gegenwartsrealität niemals eindrin gen durfte.
    Unsere Konzepte von Vergangenheit, Gegenwart und Zu kunft sind in zunehmendem Maße einem ständigen und er zwungenen Wandel unterworfen. So, wie die Vergangenheit in sozialen und psychologischen Begriffen zum Opfer von Hiroshima und dem Atomzeitalter wurde (beinahe per Defi nition eine Periode, in der wir alle gezwungen sind, voraus schauend zu denken), hört auch die Zukunft auf zu existie ren, da sie von der allumfassenden Gegenwart verdrängt wird. Wir haben die Zukunft als eine von vielen uns offenste henden Möglichkeiten in die Gegenwart integriert. Ent scheidungsmöglichkeiten vermehren sich zusehends um uns, wir leben in einer fast infantilen Welt, in der jede Forderung und jede Möglichkeit, sei es nun hinsichtlich von Lebensstil, Reisen, Geschlechterrollen und Identitäten, beinahe augen blicklich befriedigt werden kann.
    Darüber hinaus bin ich auch der Meinung, daß sich das Verhältnis zwischen Fiktion und Realität im zurückliegenden Jahrzehnt drastisch verändert hat. Deren Rollen werden zunehmend umgekehrt. Wir leben in einer von Fiktionen aller Art beherrschten Welt - Massenproduktion, Werbung, Politik als ein Zweig des Werbegeschäfts, die augenblickli che Umwandlung von Wissenschaft und Technologie in po puläre Bildersprache, die zunehmende Verschmelzung von Identitäten auf dem Gebiet der Konsumgüter, die Vorweg nahme jeder freien und originellen imaginativen Reaktion auf Erfahrungen durch das Fernsehen. Wir selbst leben in einem voluminösen Roman. Besonders für den Schriftsteller ist es immer weniger nötig, den fiktiven Inhalt seines Ro mans zu ersinnen. Die Fiktion ist bereits vorhanden. Aufga be des Schriftstellers ist es, die Realität zu erfinden.
    In der Vergangenheit haben wir immer angenommen, daß die äußere Welt um uns die Realität repräsentiert, so verwir rend, unüberschaubar und unsicher diese auch sein mochte; die innere Welt unseres Verstandes, unserer Träume, Hoff nungen und Ambitionen aber die Gefilde von Phantasie und unserer Vorstellungskraft. Mir scheint, daß auch diese Rol len eine Umkehrung erfahren haben. Die besonnenste und effektivste Methode, sich mit der Welt um uns herum ausei nanderzusetzen, besteht in der Annahme, daß sie lediglich eine Fiktion ist - oder umgekehrt, daß das letzte Restchen der Realität, das uns noch bleibt, sich im Innern unserer Köpfe befindet. Freuds klassische Unterscheidung zwischen dem latenten und dem manifestierten Inhalt unserer Träume, zwischen Sein und Schein, muß nun auch auf die Außenwelt unserer
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