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CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)

Titel: CRASH - Ins falsche Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Martyn Bedford
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verklebt an. Wenigstens die Stirn war kühl. Alex berührte das Gesicht, fuhr mit den Fingern die Augenbrauen, die Wange, den Unterkiefer, das Kinn nach. Auch den Mund: Er strich dem Liegenden mit dem Daumen über die leicht geöffneten Lippen.
    Nein. Das war ihm dann doch zu krass. Zu unheimlich. Er zog die Hand wieder weg.
    Dem Jungen auf dem Bett war nicht anzumerken, ob die Berührung irgendetwas in ihm auslöste. Er lag ruhigund friedlich da. Man hätte meinen können, er schliefe nur.
    Als Alex sich über das Bett beugte, stieg ihm der Geruch in die Nase. Nicht unbedingt unangenehm, aber es roch leicht süßlich nach abgestandenem Schweiß und Körper im lange getragenen Schlafanzug. Nach Achselhöhlen und ungewaschenen Haaren. Es war sein
eigener
Geruch, auch wenn er ihm unvertraut vorkam. Früher war ihm nie aufgefallen, dass er einen Eigengeruch hatte.
    Aber für solche Überlegungen war jetzt keine Zeit. Er hatte keine Ahnung, wie lange Rob die Schwester ablenken konnte oder wann sie oder sonst wer vom Personal hereinkommen und nach Alex sehen würde. Oder wann seine Mum oder sein Dad hier auftauchten. Vielleicht waren seine Eltern nur ins Café gegangen, solange die Ärzte ihre Runde machten, und waren schon wieder auf dem Rückweg durch das Labyrinth der Korridore zur Intensivstation, um wieder bei ihrem Sohn zu sein.
    Wenn Alex seinen Plan durchziehen wollte, musste er sich beeilen.
    Es war nicht richtig. Es war riskant und leichtsinnig und konnte fürchterlich schiefgehen. Im Grunde war es Wahnsinn, aber vor allem war es einfach nicht richtig. Noch falscher war jedoch der Körper hier im Bett   –
sein
Körper   –, der seines wahren Wesens beraubt war. Und auch der Körper, den Alex besetzt hielt, war nicht richtig, Flips Körper, dem die eigene Seele entrissen und aneinen Ort verpflanzt worden war, wo sie nicht hingehörte.
    Dieses Gesicht. Dieser Kopf. Er musste noch einmal darüberstreichen.
    Die Frage war: Würde es klappen? Und wenn ja, trat der Wechsel kurz
vor
oder kurz
nach
dem Punkt ein, an dem es kein Zurück mehr gab?
     
    Als er eine Hand unter den Kopf des Liegenden schob und ihn sanft vom Kissen hob, als er den warmen, feuchten Nacken spürte, die Kopfhaut, das vom Schweiß leicht klebrige Haar, als der Bewusstlose bei der Lageänderung leise seufzte, als die Augenlider flatterten und als er mit der freien Hand das Kissen unter dem Kopf wegzog und den Kopf behutsam wieder hinlegte   … als er das alles tat, verschwamm Alex’ Gefühl dafür, was richtig und was nicht richtig war, und verflüchtigte sich.
    Er musste die Augen zumachen. Er durfte sein eigenes ausdrucksloses Gesicht nicht sehen, das ihm zugewandt war, in diesem letzten Augenblick, bevor es unter dem Kissen verschwand.
    Vor Zimmer 6 ertönten Stimmen.
    Alex hielt inne. Spitzte die Ohren. Die Stimmen hallten im Flur vor der Tür: zwei Frauen, die sich unterhielten (worüber, war nicht zu verstehen), dann Schritte, das Quietschen eines Rollwagens, der näher kam und an der Tür vorbeirumpelte. Leiser wurde. Im Schwesternzimmer klingelte das Telefon, aber niemand nahm ab.
    Alex atmete tief durch. Nahm das Kopfkissen in beide Hände und legte es über das Gesicht, gestattete sich kein Zögern und kein Überlegen mehr, sondern drückte das Kissen entschlossen nach unten. Fest. Noch fester.
    Je stärker er drückte, desto weniger fühlte sich die Erhebung unter dem Baumwollbezug und der Schaumstofffüllung wie ein Kopf an, sondern eher wie eine gestaltlose Masse. Er hatte kurz überlegt, ob er die Nasensonde vorher herausziehen sollte, war aber zu dem Schluss gekommen, dass das keinen Unterschied machte; außerdem wusste er nicht genau, wie man das anstellte. Er legte sich jetzt mit seinem ganzen Gewicht auf das Kissen und verbot sich, an die Sonde zu denken, an das Nasenloch und die Nase. An den Mund. Die leicht geöffneten Lippen. Er blendete seine Vorstellung von diesem Gesicht komplett aus. Er drückte ein Kissen auf einen leblosen Gegenstand, sonst nichts.
    Er spürte keine Gegenwehr. Hörte kein panisches Luftschnappen.
    Da sich der Bewusstlose nicht wehrte, konnte die Gegenwehr auch nicht allmählich erlahmen, es trat auch keine endgültige Stille ein   … nichts zeigte Alex an, dass er lange genug oder schon zu lange zudrückte. Alex blieb nichts anderes übrig, als weiter zuzudrücken. So lange, bis etwas passierte. Oder bis nichts passierte. Vielleicht passierte auch einfach nur, dass er das Kissen irgendwann
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