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Coraline

Coraline

Titel: Coraline
Autoren: Neil Gaiman
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noch mehr von dem Hähnchen.
    »Ich hab gar nicht gewusst, dass ich noch eine andere Mutter habe«, sagte sie vorsichtig.
    »Aber natürlich. Das hat doch jeder«, sagte die andere Mutter mit funkelnden Knopfaugen. »Ich dachte, dass du nach dem Essen vielleicht Lust hast, in deinem Zimmer mit den Ratten zu spielen.«
    »Mit den Ratten?«
    »Von oben.«
    Außer im Fernsehen hatte Coraline noch nie eine Ratte gesehen. Sie freute sich schon richtig darauf. Der Tag versprach schließlich doch noch sehr interessant zu werden.
    Nach dem Essen erledigten ihre anderen Eltern den Abwasch und Coraline ging den Flur entlang zu ihrem anderen Zimmer.
    Es war anders als ihr Zimmer zu Hause. Zunächst mal war es in einem abscheulichen Grünton und einem sonderbaren Pink gestrichen.
    Coraline kam zu dem Ergebnis, dass sie hier drin nicht würde schlafen wollen, dass aber die Farbgestal tung sehr viel interessanter war als in ihrem eigenen Zimmer.
    Hier drin gab es allerhand bemerkenswerte Dinge, die sie noch nie zuvor gesehen hatte: Engel zum Aufziehen, die wie erschrockene Spatzen im Zimmer umherflatterten; Bücher mit Bildern, die zappelten und krabbelten und flimmerten; kleine Dinosaurier-Schädel, die mit den Zähnen klapperten, wenn sie daran vorbeiging. Eine ganze Spielzeugkiste randvoll mit den herrlichsten Spielsachen.
    Na also, dachte Coraline. Sie sah aus dem Fenster. Der Ausblick war derselbe, den sie auch von ihrem eigenen Zimmer hatte: Bäume, Felder und dahinter, am Horizont, lilafarbene Hügel in weiter Ferne.
    Etwas Schwarzes huschte durchs Zimmer und verschwand unter dem Bett. Coraline kniete sich hin und schaute unters Bett. Fünfzig kleine, rote Augen starrten ihr entgegen.
    »Hallo«, sagte Coraline. »Seid ihr die Ratten?«
    Sie kamen unter dem Bett hervor und blinzelten im Licht. Sie hatten ein kurzhaariges, pechschwarzes Fell, kleine rote Augen, rosige Pfoten, die wie winzige Hände waren, und rosafarbene, haarlose Schwänze wie lange, glatte Würmer.
    »Könnt ihr sprechen?«, fragte sie.
    Die größte und schwärzeste der Ratten schüttelte den Kopf. Coraline fand, dass sie ein unangenehmes Lächeln hatte.
    »Also«, fragte Coraline, »was macht ihr?«
    Die Ratten bildeten einen Kreis.
    Dann kletterten sie vorsichtig, aber flink aufeinander, bis sie eine Pyramide bildeten, mit der größten Ratte an der Spitze.
    Mit hohen Flüsterstimmchen begannen die Ratten zu singen:
    »Wir haben Zähne, wir haben Schwänze , Wir haben Zähne, scharf und klein , Wir waren vor deinem Sturz schon hier , Du wirst bei unserem Aufstieg hier sein. «
    Das war kein schönes Lied. Coraline war sich sicher, dass sie es schon mal gehört hatte, zumindest so etwas Ähnliches, aber sie wusste nicht mehr, wo genau das gewesen war.
    Dann fiel die Pyramide auseinander und die Ratten, schwarz und schnell, huschten zur Tür.
    Der andere verrückte alte Herr von oben stand in der Tür und hielt einen hohen schwarzen Hut in der Hand. Die Ratten sausten an ihm hoch und verkrochen sich in seinen Taschen, unter seinem Hemd, flitzten an seinen Hosenbeinen hoch und in seinen Halsausschnitt hinein.
    Die größte Ratte kletterte dem alten Herrn auf die Schultern und schwang sich an seinem langen grauen Schnurrbart an den großen schwarzen Knopfaugen vorbei bis hinauf zu seinem Kopf.
    Innerhalb von Sekunden waren die unruhigen Klumpen unter der Kleidung des Mannes der einzige Hinweis darauf, dass die Ratten überhaupt da waren. Sie turnten kreuz und quer auf ihm umher, von einer Stelle zur anderen, und nur die größte Ratte war noch da und blickte vom Kopf des Mannes mit glitzernden roten Augen auf Coraline herab.
    Der alte Herr setzte seinen Hut auf und damit war die letzte Ratte verschwunden.
    »Hallo, Coraline«, sagte der andere alte Herr von oben. »Ich habe gehört, dass du da bist. Für die Ratten wird es Zeit, dass sie ihr Abendessen kriegen. Aber wenn du willst, kannst du mit mir hinaufkommen und bei der Fütterung zusehen.«
    In den Knopfaugen des alten Mannes lag etwas Hungriges, das bei Coraline Unbehagen auslöste. »Nein, danke«, sagte sie. »Ich geh nach draußen, um die Gegend zu erkunden.«
    Der alte Mann nickte ganz langsam mit dem Kopf. Coraline hörte die Ratten miteinander tuscheln, konnte aber nicht verstehen, was sie sagten.
    Sie war sich nicht sicher, ob sie überhaupt wissen wollte, was sie sagten.
    Ihre anderen Eltern standen in der offenen Küchentür, als Coraline den Korridor entlangging. Sie hatten ein identisches
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