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Commissario Montalbano 11 - Die Flügel der Sphinx

Commissario Montalbano 11 - Die Flügel der Sphinx

Titel: Commissario Montalbano 11 - Die Flügel der Sphinx
Autoren: Andrea Camilleri
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vor dem Fernsehapparat. »Wieso ist denn keiner hier?«
    »Dottore! Erstens ist heute Montag, unser Ruhetag. Aber das haben Sie sicher vergessen. Und zweitens wäre es auch noch zu früh, wir haben ja noch nicht mal halb eins.«
    »Na, dann geh ich wieder.«
    »Aber nicht doch! Setzen Sie sich!«
    Wenn es noch nicht mal halb eins war, wieso hatte er dann bloß diesen unbändigen Appetit? Da fiel ihm wieder ein, dass er am Abend zuvor nichts gegessen hatte. Wegen eines langen, streitlustigen Anrufs von Livia, die es sich in den Kopf gesetzt hatte, eine verheerende, mit Vorwürfen und Ausreden gespickte Abschlussbilanz ihres Zusammenlebens zu ziehen, hatte er gar nicht mehr an die Pfanne auf dem Herd gedacht, in der er aufwärmen wollte, was Adelina ihm vorbereitet hatte. Und dann war er durch das Gespräch so aufgewühlt gewesen, dass er nicht einmal mehr Lust gehabt hatte, ein bisschen Käse und ein paar Oliven auf den Tisch zu stellen, die er mit Sicherheit im Kühlschrank gefunden hätte.
    »Dottore, heute habe ich Langusten bekommen, die sind die reinste Wonne.«
    »Große oder kleine?«
    »Ganz wie Sie wollen.«
    »Bring mir eine große. Aber nur gekocht, ohne alles. Und als Erstes bring mir, wenn es nicht zu viele Umstände macht, einen ordentlichen Teller Spaghetti mit Venusmuscheln, aber nur in Olivenöl.«
    Auf diese Weise würde er, ohne den Geschmack von Soßen im Mund, die Languste besser genießen können, die nur mit Olivenöl und Zitrone zubereitet sein würde. Und genau in dem Augenblick, als er sich über die Languste hermachen wollte, kamen im Fernsehen die Bilder von der Müllkippe. Der Kameramann hatte von oben, vom Parkplatz aus, einen mit einem Betttuch bedeckten Körper aufgenommen.
    »Ein furchtbares Verbrechen …«, begann die Stimme aus dem Off ihren Kommentar.
    »Schalt das sofort aus!«, rief Commissario Montalbano. Enzo schaltete das Fernsehgerät aus und sah ihn verwundert an.
    »Was war denn los, Dottore?«
    »Entschuldige«, sagte Montalbano. »Es ist nur, dass ich …« Wie schnell die Leute doch zu Kannibalen geworden waren!
    Seit das Fernsehen Einzug in die Wohnungen hielt, hatten sich alle daran gewöhnt, Brot und Leichen zu essen. Von zwölf bis eins mittags und von sieben bis halb neun abends, also genau die Zeit, zu der man bei Tisch saß, gab es keinen Fernsehkanal, der nicht Bilder von zerfetzten, verstümmelten, verbrannten, geschundenen Körpern von Männern, Frauen, Alten und Kindern zeigte, die ebenso einfallsreich wie effektiv in irgendwelchen Teilen der Welt umgebracht worden waren.
    Denn es verging kein Tag, an dem es nicht irgendwo auf der Erde einen Krieg gab, der urbi et orbi vorgeführt werden musste. Und da sah man Menschen, die dem Hungertod nahe waren, die keinen Cent besaßen, um sich einen Bissen Brot zu kaufen, die auf andere, die gleichermaßen hungerten, mit Bazookas, Kalaschnikows, Raketen oder Bomben schossen, lauter ultramoderne Waffen, die um ein Vielfaches mehr kosteten als Medikamente und Essen für alle. Er stellte sich ein Gespräch zwischen einem Ehemann, der am Esstisch Platz nimmt, und seiner Frau vor. »Was hast du mir Schönes zubereitet, Catari?«
    »Als Erstes Pasta mit einer Soße von einem Kleinkind, das von einer Bombe zerfetzt wurde.«
    »Köstlich. Und als Hauptgang?«
    »Kalbfleisch, garniert mit einem Selbstmordattentäter, der sich auf einem Markt in die Luft gesprengt hat.«
    »Na, da läuft mir doch gleich das Wasser im Munde zusammen, Catari.«
    Er versuchte, den Geschmack der Languste so lange wie möglich zwischen Zunge und Gaumen festzuhalten, und begann so seinen gewohnten Spaziergang bis zum äußersten Punkt der Mole.
    Auf halbem Weg dorthin traf er wie üblich auf den Fischer mit seiner Angelrute. Sie grüßten sich, und der Mann sagte:
    »Dutturi, Sie werden sehen, dass es morgen gewaltig regnen wird, und kalt wird es auch. Und so wird's 'ne ganze Woche lang bleiben.«
    Dieser Mann hatte sich in seinen Vorhersagen noch nie geirrt.
    Montalbanos düstere Laune, die von der Languste kurzfristig auf die Ebene des Erträglichen gehoben worden war, wurde noch düsterer als zuvor.
    War es denn möglich, dass sogar das Wetter verrückt spielte? Wie konnte es sein, dass man in einer Woche vor äquatorialer Hitze fast umkam und die Woche darauf vor nordpolarer Kälte? Ein einziges Auf und Ab! Gab es denn keinen vernünftigen Mittelweg mehr? Er setzte sich wie gewohnt auf die Flachklippe und steckte sich eine Zigarette an. Dann
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