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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe
Autoren: Donna Leon
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Weinanbau«, sagte er.
    Nach kurzem Schweigen meinte sie: »Was du nicht sagst, aber mir scheint, da ist noch etwas anderes.«
    »Ich bin angerufen worden. In Santa Croce wurde eine Tote gefunden, drüben bei San Giacomo.«
    »Warum hat man gerade dich angerufen?«
    »Wahrscheinlich, weil man Patta oder Scarpa nicht damit behelligen wollte.«
    »Da hat man also dich angerufen, während du mit den beiden zusammen warst? Köstlich.«
    »Man hat nicht gewusst, wo ich war. Außerdem bin ich auf diese Weise von den beiden losgekommen. Ich gehe mir das jetzt mal ansehen. Ich habe sowieso den kürzesten Weg.«
    [19]  »Soll ich auf dich warten?«
    »Nein. Wer weiß, wie lange das dauert.«
    »Wenn du kommst, wache ich auf«, sagte sie. »Falls nicht, stups mich an.«
    Brunetti lächelte bei der Vorstellung, beschränkte sich aber auf ein unverbindliches Brummen.
    »Es wäre nicht das erste Mal, dass ich aus dem Schlaf gerissen würde«, sagte sie mit gespielter Entrüstung, denn ihr Radar hatte genau erfasst, dass er ihr mit seinem Brummen keinen Glauben schenkte.
    Brunetti erinnerte sich: Zuletzt war das in der Nacht passiert, als das Fenice abbrannte und der immer wieder übers Haus fliegende Hubschrauber sie schließlich aus dem tiefen Abgrund holte, in den sie jeden Abend versank.
    Versöhnlicher sagte sie: »Hoffentlich ist es nichts allzu Schreckliches.«
    Er dankte ihr, verabschiedete sich und schob das Telefon in die Jackentasche. Dann konzentrierte er sich auf den Weg. Die Straßen waren hell erleuchtet: auch so ein üppiges Geschenk der Verschwender in Brüssel. Wenn ihm danach gewesen wäre, hätte Brunetti im Licht der Laternen eine Zeitung lesen können. Auch aus vielen Schaufenstern kam noch Licht: Er dachte an Satellitenfotos von dem leuchtenden nächtlichen Planeten, die er gesehen hatte. Nur im tiefsten Afrika gab es noch wirkliche Dunkelheit.
    Am Ende der Scaleter Ca’ Bernardo wandte er sich nach links und passierte den Turm von San Boldo, dann ging er über die Brücke in die Calle del Tintor und kam an der Pizzeria vorbei. Daneben hatte noch ein Geschäft geöffnet, das billige Portemonnaies verkaufte; hinter dem Ladentisch [20]  saß eine junge Chinesin, die eine chinesische Zeitung las. Er hatte keine Ahnung, wie lange die Geschäfte nach der aktuellen Gesetzeslage geöffnet haben durften, aber innerlich lehnte er sich dagegen auf, dass zu so später Stunde noch Geschäfte gemacht wurden.
    Vor ein paar Wochen hatte er mit einem Hauptmann der Grenzpolizei zu Abend gegessen, der ihm unter anderem erzählt hatte, derzeitigen Schätzungen zufolge liege die Zahl der gegenwärtig in Italien lebenden Chinesen irgendwo zwischen 500 000 und 5 Millionen. Nach dieser Feststellung lehnte er sich erst einmal zurück, um Brunettis Verblüffung auszukosten. Und bemerkte dann: »Wenn alle Chinesen in Europa Uniform tragen würden, kämen wir nicht mehr umhin, die Invasion als solche anzuerkennen.« Dann hatte er seine Aufmerksamkeit wieder den gegrillten Calamari zugewandt.
    Zwei Türen weiter sah er einen anderen Laden, und auch dort saß eine junge Chinesin an der Kasse. Aus einer Bar strömte noch mehr Licht auf seinen Weg; davor standen vier oder fünf junge Leute, rauchend und mit Gläsern in der Hand. Ihm fiel auf, dass drei von ihnen Coca-Cola tranken: so viel zum Nachtleben von Venedig.
    Er gelangte auf den campo; auch der war von Licht überflutet. Vor Jahren, kurz nachdem er aus Neapel zurückversetzt worden war, war dieser campo ein berüchtigter Drogenumschlagplatz gewesen. Er dachte an die Geschichten von weggeworfenen Spritzen, die damals jeden Morgen aufgekehrt werden mussten, und erinnerte sich vage an einen Jugendlichen, der hier tot auf einer Bank gelegen hatte, gestorben an einer Überdosis. Doch seit sich nur noch wohlhabende Leute diese Gegend leisten konnten, war alles clean - [21]  oder aber der Umstieg auf Designerdrogen hatte Spritzen überflüssig gemacht.
    Er sah nach den Gebäuden zu seiner Rechten, gegenüber der Apsis. In einem hellen Fenster im vierten Stock eines der Häuser zeigte sich der Schatten einer Frau. Brunetti widerstand dem Impuls, ihr zuzuwinken, und ging auf das Haus zu. Die Hausnummer war nirgends auf der Fassade zu entdecken, aber ihr Name stand neben dem obersten Klingelknopf.
    Er läutete, und schon sprang die Tür auf; offenbar war sie, als sie einen Mann auf den campo kommen sah, gleich zur Wohnungstür gegangen. Brunetti war der einzige Spaziergänger zu dieser
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