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Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß

Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß

Titel: Commissaire-Llob 2 - Doppelweiß
Autoren: Yasmina Khadra
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durchbrennt. Und das soll nicht tödlich sein!«
    Er blickt noch melancholischer drein und wendet sich zu mir um, um mich zum Zeugen zu nehmen. Seine Stimme zittert: »Es gab einmal eine Zeit, da die Geschichte sich in dicken Lettern auf unseren Stelen verewigte. Die Zentauren von einst erquickten sich auf den Feldern unserer Mütter. Sogar die Propheten verneigten sich vor unserer Langlebigkeit. Gestern erst war es, daß die Mythologie ihre Fäden ins Haar unserer Witwen wob und der Horizont seine Faszination aus dem Blick unserer Waisen bezog … Und sehen Sie nur, was heute aus uns geworden ist: lauter Nullen. Die wandelnde Niedertracht. Alle miteinander.«
    Sein Ton steigt drei Oktaven an, als er mit der Faust gegen das Geländer trommelt und nachsetzt: »Und siehe, auf die Rasse der Giganten folgt eine höchst merkwürdige Kolonie von Einsiedlerkrebsen, aus deren Gehäuse Galle und Fäulnis quillt.«
    Er packt mich bei den Schultern. So, wie man einander seinerzeit im Maquis [*Widerstandsbewegung im algerischen Freiheitskampf gegen die französische Kolonialmacht] angefaßt hat.
    »Ich möchte das alles zu Papier bringen, Monsieur Llob. Deshalb habe ich Sie kommen lassen.«
    Ich befreie mich mehr schlecht als recht aus seiner Umklammerung und kehre in den Salon zurück.
    »Sie müssen sich nicht sofort entscheiden, Monsieur Llob.«
    »Ich gestehe, Sie bringen mich ein wenig in Verlegenheit. Warum ausgerechnet ich?«
    »Warum nicht Sie?«
    Das reicht mir nicht. Dreißig Jahre auf Tuchfühlung mit dem Mißgeschick haben mich davon überzeugt, daß nichts, aber auch gar nichts bei uns reiner Zufall ist.
    Mir kommt das Wortgefecht, das ich kürzlich mit meinem Direktor hatte, wieder in den Sinn. Versucht da jemand auszutesten, ob ich zu Rückfällen neige? Seit der Terrorismus sich zu einem Gesellschaftsphänomen ausgeweitet hat, ist niemand mehr so verrückt, sich jemand anderem anzuvertrauen. Alles steht in Flammen. In der allgemeinen Panik weiß man von keinem mehr, auf welcher Seite er steht.
    »Ich bin im Besitz eines einzigartigen Dokuments«, versucht er mich zu ködern. »Codename: N.O.S. Ein Programm, auf das selbst der Teufel nicht verfallen wäre.«
    Seine Hand umklammert mein Handgelenk, gibt es gleich wieder frei. Er wiegt gemächlich den Kopf hin und her: »Überall nur Fragezeichen, mein lieber Llob. Die Aussichten zu überleben sind in jedem Schlangennest besser als in unserem Land. Aber ob man nun schweigt oder das Maul weit aufreißt, unsere Gesinnung ist es nicht, die die da handeln läßt.«
    »Ich weiß.«
    »Warum also schweigen?«
    Er sieht mir voll ins Gesicht. Seine Aufrichtigkeit erschreckt mich. Die Verzweiflung der Großen - das ist wie ein Weltuntergang.
    »Unser Land braucht weder Propheten noch einen Präsidenten. Es braucht einen Exorzisten. Denken Sie in Ruhe nach, Monsieur Llob, lassen Sie sich Zeit …«
    Ich strecke ihm brüsk die Hand hin: »Auf Wiedersehen, Monsieur Ouda.«
    Er zögert, ehe er mir die seine reicht. »War mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Kommissar.«
    Er begleitet mich zum Treppenabsatz und ruft den Aufzug. »Das Chaos bei uns ist wie trübes Wasser, in dem die Mörderhaie ungestört ihre Kreise ziehen. Dieses grauenvolle Spektakel dauert schon viel zu lange. Ich muß so schnell wie möglich Gewißheit haben, wie Sie entscheiden, Kommissar.«
    »Das werden Sie auch, versprochen.«
    Da kommt der Aufzug. Ben hindert ihn daran, mich zu verschlucken. Sein Blick läßt mich nicht los. »Das alles muß sich ändern, Monsieur Llob. Wir müssen das alles ändern.«
    Ein Zucken springt von seiner Brust über auf sein dreifach gefaltetes Doppelkinn und erfaßt zuletzt den Unterkiefer, während eine riesengroße Traurigkeit sich über sein Lächeln legt.
    Endlich geht der Aufzug zu.
     
    2
     
    Ich habe, das ist sehr lange her, einmal einen Mann verehrt. Jemanden, der in Ordnung war. So lauter wie Wasser. Und immer, wenn er mich auf seine Knie nahm, schwebte mein Kopf in Wolken. Ich habe die Farbe seiner Augen vergessen, den Geruch seines Körpers: ich habe sogar vergessen, wie er aussah, doch ich erinnere mich noch immer an jedes seiner Worte. Er verstand es, die Dinge so zu sagen, wie der Zufall sie entstehen ließ. Er verstand es, mir den Glauben an das einzuflößen, woran er selbst glaubte. Vielleicht war er ein Heiliger. Er war überzeugt davon, daß die Menschen mit einem Minimum an Demut die Walfische und die Ozeane überleben könnten. Es ärgerte ihn sehr
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