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Commissaire-Llob 1 - Morituri

Commissaire-Llob 1 - Morituri

Titel: Commissaire-Llob 1 - Morituri
Autoren: Yasmina Khadra
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dem Hügel ging eine Bombe hoch. Und dann war da noch dieser verdammte Durchzug, der die Poltergeister in meinem Haus zum besten hält und mich bis zum Morgen wachhielt.
    Von meinem Fenster aus kann ich das nesselnde Elend der Kasbah sehen, seine Abwasserschwärze, und dahinter das Mittelmeer. Es gab eine Zeit, da es mir, dem eifrigen Patrioten, von meinem Wachturm aus schien, als ginge aus diesen Elendsquartieren, die von Krieg und Not arg gebeutelt waren, der Adel hervor, als sei das pergamentene Gassengewirr die Heimstatt der Tapferkeit. Das war die Zeit, da Algier weiß wie die Tauben und die Arglosigkeit war, da die Erde in den Augen unserer Kinder soeben wieder neue, jungfräuliche Horizonte gewonnen hatte. Es war die Zeit der Parolen und des Chauvinismus; die Zeit, da die Propaganda es besser als jeder fabulierende Greis verstand, uns das Blaue vom Himmel zu versprechen, während sich der Abend über einen bestürzend nutzlosen Tag herabsenkte.
    Heute kriechen unter den Röcken der Nation, aus dem Trümmerhaufen der Mißstände, Ausgeburten des Schreckens hervor, und die Heimat, auf die ich stolz war, ist abstoßender als die schlimmste Barbarei.
    Von nun an, nur wenige Schwimmstöße vom Punkt ohne Wiederkehr entfernt, gibt es in meinem Land Kinder, die man einfach so abknallt, nur weil sie in die Schule gehen, und Mädchen, denen man den Kopf abschlägt, nur weil man den anderen Angst einjagen muß.
    Von nun an, nur wenige Gebete von Gott entfernt, gibt es in meinem Land Tage, die nur anbrechen, um wieder zu verschwinden, und Nächte, die nur schwarz sind, um sich unserem Gewissen anzugleichen …
    Aber was kann man von einem System erwarten, das sich schon am Morgen seiner Unabhängigkeit auf die Witwen und Waisen seiner eigenen Märtyrer gestürzt hat, um ihnen Gewalt anzutun?
     
    Mina wirft sich unter der Bettdecke hin und her. Ihre Madonnenstimme haucht mir verschlafen zu: »Komm ins Bett.«
    »Ist ja schon sechs«, erwidere ich.
    Sie stützt sich auf einen Ellenbogen, wirft mir einen ratlosen Blick zu: »Ich mache mir Sorgen um dich.«
    »Du machst dir zu Recht Sorgen. Ich habe keine Lebensversicherung.«
    Ich weiß, daß ich gemein bin. Ich kann nichts dafür. Ich weiß, daß ich jeden Tag meine Haut riskiere, und das kotzt mich an.
     
     
    Lino fängt mich an der Tür zum Kommissariat ab. Sein rechtes Brillenglas ist von einem Spinnennetz überzogen.
    »Ich bin draufgestiegen«, vertraut er mir an, um mein Mitleid zu erregen.
    »Was nur beweist, daß du noch aufrecht stehen kannst.«
    Er zeigt mit einem vom Streß abgekauten Finger auf das Empfangszimmer: »Alt Meziane wartet seit einer Stunde auf dich.«
    »Der große Komiker?« freue ich mich.
    Der Ai’t Meziane, der da im Empfangszimmer vor Ungeduld fast vergeht, hat nichts mehr von dem Possenreißer an sich, der auf der Bühne alle Blicke fesselt. Vor mir steht eine Jammergestalt, so aufgelöst wie ihr eigener Schatten, mit einer Miene düster wie die Nacht.
    Er betrachtet seine Schuhspitzen, die Finger unauflösbar ineinander verkrampft.
    »Was hat dich denn in diesen Zustand versetzt?« frage ich, um seine Anspannung zu lösen.
    Er reicht mir wortlos einen Umschlag.
    Es ist ein Drohbrief, unterschrieben mit »Abou Kalybse«. Er warnt den Künstler, sich ja nicht in der Nähe des Theaters herumzutreiben oder sich noch länger mit den intellektuellen »Handlangern des Satans« zu treffen, und fordert ihn auf, dem Mufti als kleine Unterstützung die bescheidene Summe von einhunderttausend Dinaren zu überweisen.
    Ich setze mich ihm gegenüber hin und versuch’s mit einem hilflosen Einwand: »Das ist sicher so ein Spaßvogel.«
    Meziane ringt sich ein erbärmliches Lächeln ab: »Findest du, daß man sich bei uns gut amüsiert?«
    Ich weiß nicht, was ich tun soll. Leute in seiner Situation gibt es haufenweise. Am Anfang stellte man ihnen einen Geheimpolizisten zur Seite, um ihre Umgebung zu überwachen, doch mittlerweile, seit die Nachfrage immer größer und unsere Verluste immer empfindlicher wurden, versucht jeder selbst zurechtzukommen und sich nur noch auf den Segen seines Stammesältesten und die Ungeschicklichkeit der Henker zu verlassen.
    »Du kennst mich, Llob. Wir sind zusammen aufgewachsen, haben uns den Hosenboden auf denselben Gehsteigen abgewetzt. Ich bin keiner von denen, die beim ersten Floh, den man ihnen ins Ohr setzt, die Alarmglocken läuten hören. Aber diesmal fürchte ich, daß mir mein Lächeln bald im wahrsten Sinne des
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