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Codex Mosel

Titel: Codex Mosel
Autoren: Mischa Martini
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ausgeschaltet werden kann, damit wir die Schaukästen öffnen können. Das geht natürlich nicht, wenn der Dom für Publikum geöffnet ist oder die Sakristane Dienst haben. Die Polizei ist informiert.«
    Neben ihnen brannte auf einer schrägen Metallplatte ein Meer von Kerzen. Vor einem hoch aufragenden Seitenaltar standen zwei Bänke. Der Domkapitular verbeugte sich leicht und setzte sich in die hintere.
    Edith glitt von der anderen Seite auf die schmale Holzbank und stellte die Schultertasche neben sich. Rechts führte eine Steintreppe hinauf zur Schatzkammer, dem Ziel ihrer nächtlichen Exkursion.
    *
    Walde schlug die Augen wieder auf, als seine Hände das Buch ins Federbett sinken ließen, wo bereits das Dictionary lag. Er lauschte. Der Wecker auf dem Nachttisch zeigte kurz nach eins. In der Wohnung war es ruhig. Er fand die Stelle im Buch, an der er eingedöst war. Bereits nach wenigen Sätzen in The Catcher in the Rye, den er versuchte, in der englischen Version zu lesen, schloss er erneut die Augen. Nur ausruhen, dachte er, gleich lese ich weiter. Doris wird bald kommen, dann kann ich schlafen. Seit eineinhalb Jahren wohnten sie nun zusammen. Wollte oder konnte er nicht mehr ohne sie einschlafen?
    Er schlug die Bettdecke zur Seite. Der Holzboden kühlte seine warmen Fußsohlen. Draußen in der Diele brannte kein Licht. Walde blieb an der angelehnten Tür von Annikas Zimmer stehen. Das Kind schlief ruhig, sein leiser Atem war nur zu erahnen.
    Das Oberlicht zu Doris’ Arbeitszimmer war dunkel. Seit kurzem arbeitete sie im Modeatelier einer ehemaligen Kommilitonin und brachte sich häufig Arbeit mit nach Hause.
    Sein Fuß trat unvermittelt auf etwas Hartes. Walde unterdrückte einen Schmerzenslaut. Er bückte sich und zog einen Ring mit dicken Holzkugeln unter seinem Fuß hervor. Die Tür zum Wohnzimmer quietschte. Eine brennende Kerze flackerte auf dem Tisch. Walde warf Annikas Spielzeug in einen Sessel. Aus dem Augenwinkel nahm er vor dem Fenster eine Bewegung wahr.
    Doris stand mit ausgebreiteten Armen auf dem überdachten Teil der Terrasse. Sie ließ die Arme herunter und breitete sie in einer runden Bewegung wieder aus. Der Kranich breitet seine Schwingen aus. So hieß diese Qigongübung. Während er auf die durch die Lichter der Stadt kontrastierte Silhouette der Libanonzeder hinter der Mauer des Gartens sah, ließ er sich in einen Sessel fallen und knallte mit dem Steißbein auf das Holzspielzeug.
    »Du bist noch wach?« Doris schien sein Schnaufen von der Terrasse aus gehört zu haben.
    »Ich hab auf dich gewartet.«
    »Ich komm gleich.«
    Der Regen fiel leise trommelnd auf die Überdachung. Aus dem Dunkel des Gartens löste sich ein Schatten. Mira glitt auf die Terrasse und setzte sich, mit dem Kopf nickend und die Schwanzspitze schlagend, neben Doris auf die Holzbretter.
    Walde rappelte sich aus dem Sessel hoch. Doris mochte es nicht, wenn sie beim Qigong beobachtet wurde. Die Katze holte ihn in der Diele ein und rieb ihr nasses Fell an seinen Knöcheln. Er versuchte, ihr auszuweichen, ging dann aber doch in die Küche, um ein wenig Trockenfutter in den Katzennapf zu füllen.
    Walde legte sich wieder ins Bett und schlug seine einstmalige Schullektüre beim Lesezeichen auf. Seine Augen suchten die Stelle, bis zu der er vorher gekommen war. Dabei tauchten ihm unbekannte Vokabeln auf, die er bereits nachgeschlagen und schon wieder vergessen hatte. Mit seinem Englisch, das er als freiwillige dritte Fremdsprache nicht einmal halbherzig gelernt hatte, würde es in der kurzen Zeit bis zum IPA-Treffen in Trier, zu der Kriminalisten aus halb Europa eingeladen waren, nichts mehr werden. Sein Vortrag wurde simultan übersetzt, aber im Übrigen war meist Englisch erforderlich, um sich mit den Kollegen zu verständigen. Er legte die kalt gewordene linke Hand zum Wärmen auf seinen Oberschenkel.

Dienstag
    Nachdem Adams sich damit begnügt hatte, ihr mitzuteilen, dass sie vor dem Johannes-der-Täufer-Altar aus dem Jahr 1597 saßen und rechts von ihnen die Pilgerrampe aus dem 12. Jahrhundert schemenhaft zu erkennen sei, hatte der Domkapitular minutenlang reglos in der Bank gesessen.
    Das Warten war für Edith das Schlimmste. Der riesige Kirchenraum entwickelte seine eigenen Geräusche. Kein normales Knacken, wie es manchmal die Holzbalken bei ihr zu Hause von sich gaben, nein, gerade hatte es dermaßen geknallt, dass sie glaubte, eine der Orgelpfeifen sei von hoch oben herabgestürzt. Dann hatte sie ganz deutlich
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