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Cocoon, Band 01

Cocoon, Band 01

Titel: Cocoon, Band 01
Autoren: G Albin
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gekommen wäre, hätte man mich entlassen, und dann wäre mir gemäß den in der Akademie festgestellten Stärken und Schwächen eine Rolle zugeschrieben worden. Jahrelang habe ich pflichtbewusst Kurzschrift, Hauswirtschaft und Datenverwaltung gelernt. Jetzt würde ich nie die Gelegenheit bekommen, etwas davon einzusetzen.
    »Wir brauchen einen neuen Lehrer«, unterbricht Amie meine Gedanken. »Mrs Swander ist weg.«
    »Bekommt sie ein Kind?«, fragt meine Mutter wissend. Ihr Blick trübt sich ein wenig.
    »Nein.« Amie schüttelt den Kopf. »Mr Diffet, der Direktor, sagt, dass sie einen Unfall hatte.«
    »Einen Unfall?«, wiederholt Papa stirnrunzelnd.
    »Genau.« Amie nickt mit großen Augen. »Das ist das erste Mal, dass jemand, den ich kenne, einen Unfall hatte.« In ihrer Stimme schwingt Ehrfurcht mit. Keiner von uns kennt jemanden, der schon mal einen Unfall hatte, weil in Arras keine Unfälle geschehen.
    Mutter fragt so leise, dass ich sie in dem ganz und gar stillen Wohnzimmer fast nicht hören kann: »Hat Direktor Diffet gesagt, was passiert ist?«
    »Nein, aber er hat gesagt, dass wir uns keine Sorgen machen müssen, weil Unfälle sehr selten sind und die Gilde jetzt besonders vorsichtig sein würde, dass sie sogar Untersuchungen und so durchführen. Geht’s ihr denn gut?« Ihrer Stimme hört man das tiefe Vertrauen an, das sie ihnen entgegenbringt. Was immer mein Vater auch antwortet, sie wird es ihm glauben. Ich sehne mich nach der Zeit, als ich noch glaubte, dass meine Eltern auf alles eine Antwort haben, und mich sicher fühlte.
    Mein Vater ringt sich ein verkniffenes Lächeln ab und nickt ihr zu. Mama sucht meinen Blick.
    »Findest du das nicht merkwürdig?« Sie beugt sich dicht an meinen Vater heran, damit Amie sie nicht hört, dabei hat sich Amie ohnehin schon wieder der Anbetung des Kuchens zugewandt.
    »Den Unfall? Natürlich.«
    »Nein.« Mama schüttelt den Kopf. »Dass der Schulleiter ihnen das gesagt hat.«
    »Es muss schlimm gewesen sein«, flüstert er.
    »Etwas, das der Manipulationsdienst nicht wie üblich vertuschen konnte?«
    »Am Bahnhof haben wir nichts gehört.«
    »Keines der Mädchen hat irgendetwas gesagt.«
    Ich fühle mich ausgeschlossen und wünschte, ich hätte etwas beizutragen. Draußen hat die Nacht sich über unsere ruhige Straße gesenkt. Ich kann den Schattenriss der Eiche im Garten sehen, sonst aber fast nichts. Bald schon ist es so weit, und wir verschwenden unsere Zeit damit, uns über Mrs Swanders Unfall den Kopf zu zerbrechen.
    »Lasst uns den Kuchen essen!«, bricht es aus mir heraus. Mama ist einen Moment lang verblüfft, stimmt aber nach einem kurzen Blick auf unsere Teller zu.
    Papa schneidet den Kuchen mit einem alten Brotmesser, wobei er die Lasur über die Klinge schmiert und die leuchtend roten Blumen in rosa Klumpen verwandelt. Völlig gefangen genommen von dem feierlichen Augenblick stützt sich Amie auf den Tisch, während Mama die Kuchenstücke von Papa entgegennimmt und sie weiterreicht. Ich führe gerade den ersten Bissen an den Mund, da hält Mama mich zurück.
    »Adelice, dein Weg sei gesegnet. Wir sind stolz auf dich.« Fast bricht ihre Stimme, und ich weiß, wie viel ihr dieser Moment bedeutet. Sie hat mein ganzes Leben lang auf diese Nacht gewartet, auf meine Entlassung aus dem Prüfungsverfahren. Ich kann ihr kaum in die Augen schauen. Sie wischt sich eine Träne von der Wange und bedeutet uns, dass wir mit dem Essen anfangen können. Die Wimperntusche hinterlässt eine schwarze Spur auf ihrem Gesicht.
    Ich nehme einen Bissen und drücke den Kuchen gegen meinen Gaumen. Die Lasur ist so süß, dass es mich in der Nase kitzelt. Neben mir schlingt Amie ihr Stück herunter, aber Mama ermahnt sie nicht. Jetzt, da ich mit den Prüfungen fertig bin, ist Amie dran. Morgen werden meine Eltern mit ihrer Vorbereitung beginnen.
    »Kinder … «, setzt meine Mutter an, aber ich werde niemals erfahren, was sie sagen wollte. Ein Hämmern an der Tür und das Trampeln vieler Stiefel auf unserer Veranda ertönen. Ich lasse die Gabel fallen und merke, wie mir das Blut aus dem Gesicht weicht und in die Beine strömt. Wie festgeklebt sitze ich auf meinem Stuhl.
    »Adelice«, haucht mein Vater, aber er stellt seine Frage nicht, da er die Antwort schon kennt.
    »Keine Zeit, Benn!«, kreischt meine Mutter, ihre vollendet aufgetragene Grundierung platzt auf, aber fast genauso plötzlich hat sie sich wieder unter Kontrolle und greift nach Amies Arm.
    Ein leises Summen
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