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Cocoon, Band 01

Cocoon, Band 01

Titel: Cocoon, Band 01
Autoren: G Albin
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einmal Musik gespielt, Geschichten erzählt und Nachrichten gesendet hat, so wie der Stream heute, aber ohne Bilder. Als ich gefragt habe, warum wir es aufheben, obwohl es doch nicht mehr von Nutzen ist, antwortete sie, dass das Erinnern niemals nutzlos wäre.
    »Aber das Leben einer Webjungfer ist aufregend«, entgegnet Amie. »Sie feiern Partys und haben schöne Kleider. Webjungfern haben alles in der Hand.«
    Während ihre Worte nachklingen, wechseln meine Eltern besorgte Blicke. Alles in der Hand? Keiner, der einem die Erlaubnis fürs Kinderkriegen erteilt. Keine vorgeschriebene Kosmetik. Keine zugewiesenen Rollen. Das würde es bedeuten, sein Leben in der Hand zu haben.
    »Wenn du meinst, dass sie alles in der Hand haben … «, setzt Mama ruhig an, aber mein Vater hüstelt.
    »Sie haben Kuchen«, seufzt Amie und lässt sich in ihren Stuhl zurücksacken.
    Als Papa ihr mitleiderregendes Gesicht sieht, wirft er den Kopf in den Nacken und lacht. Kurz darauf stimmt auch meine sonst so gleichmütige Mutter ein. Sogar ich fühle ein Kichern in mir aufsteigen. Amie gibt sich alle Mühe, traurig auszusehen, aber ihre finstere Miene verwandelt sich in ein ulkiges Grinsen.
    »Deine Kosmetika kommen nächste Woche, Adelice«, sagt meine Mutter zu mir. »Dann zeige ich dir, wie man sich schminkt.«
    »Bei Arras, das sollte ich dann auch wirklich können. Schließlich ist es die wichtigste Pflicht eines Mädchens.« Die ironische Bemerkung ist mir einfach so rausgerutscht. Wenn ich nervös bin, habe ich immer eine große Klappe. Aber der warnende Gesichtsausdruck meiner Mutter sagt mir, dass das nicht besonders lustig war.
    »Und ich werde Kennenlern-Termine ausmachen«, sagt Papa augenzwinkernd, und die Anspannung verflüchtigt sich.
    Darüber muss ich wirklich lachen, obwohl ich innerlich taub vor Schreck bin. Im Gegensatz zu den meisten anderen Familien sind meine Eltern nicht besonders scharf darauf, mich unter die Haube und aus dem Haus zu bekommen. Aber mit achtzehn muss ich verheiratet sein. Doch der Scherz hebt meine Laune nur kurz. Der Gedanke ans Heiraten, eine Unausweichlichkeit, die viel zu weit weg gewesen war, um mir deswegen Sorgen zu machen, steht nun gar nicht mehr zur Debatte. Webjungfern heiraten nicht.
    »Und ich kann dir helfen, deine Schminkfarben in der Ko-op auszusuchen, ja?« Seit sie lesen kann, hat Amie massenhaft Kataloge und Moderatgeber verschlungen. Mama nimmt uns nicht oft zum Laden der Metro-Ko-op mit, weil er nicht geschlechtergetrennt ist, und wenn, dann nur um Lebensmittel zu kaufen und nichts so Aufregendes wie Kosmetika.
    »Ich habe gehört, dass sie am Zuweisungstag die Lehrertruppe vergrößern wollen«, fährt Papa, nun wieder ernst geworden, fort.
    Ich wollte schon immer Lehrerin werden. Sekretärin, Krankenschwester, Fabrikarbeiterin – keine der anderen für Frauen vorgesehenen Rollen ermöglicht irgendeine Art von kreativer Entfaltung. Sogar mit dem sorgsam überwachten Lehrplan der Akademie gibt es beim Unterrichten mehr Raum für persönlichen Ausdruck als beim Nachrichtentippen für irgendwelche Geschäftsleute.
    »Oh, Ad, du wärst bestimmt eine tolle Lehrerin«, wirft Amie ein. »Hauptsache, du landest nicht in irgendeinem Büro. Wir hatten gerade Schnellschreiben, und das war soooo langweilig. Außerdem muss man da den ganzen Tag Kaffee kochen. Oder, Mama?«
    Amie schaut Bestätigung heischend zu ihr hinüber, und Mama nickt ihr zu. Der verletzte Ausdruck auf ihrem Gesicht entgeht meiner Schwester dabei. Mir nicht.
    »Ich mache wirklich viel Kaffee.«
    Ich habe eine raue Kehle vor unterdrückten Tränen, und wenn ich jetzt etwas sage …
    »Ich bin sicher, dass man dir einen Posten als Lehrerin zuweisen wird«, meint Mama, um das Thema zu wechseln, und tätschelt meinen Arm. Bestimmt wirke ich nervös. Ich versuche, mir vorzustellen, wie ich mich wohl fühlen würde, wenn in einer Woche mein Zuweisungstag wäre, aber es geht nicht. Eigentlich hätte ich einen Monat lang die Prüfungen besuchen und durchfallen sollen, um dann eine Rolle zugeteilt zu bekommen. Es war das erste Mal, dass ich an einem Webstuhl saß, an einer der großen Maschinen, die uns Arras’ Gewebe zeigen. Es war überhaupt das erste Mal, dass wir Kandidatinnen einen Webstuhl auch nur zu Gesicht bekamen. Ich hätte nur so tun müssen, als könne ich das Gewebe nicht sehen, so wie die anderen Mädchen, und die Fragen des Prüfers mit einstudierten Lügen beantworten sollen. Wenn ich nicht ins Schleudern
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