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Cocoon, Band 01

Cocoon, Band 01

Titel: Cocoon, Band 01
Autoren: G Albin
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sehr gut, aber wenn Adelice berufen worden wäre, würden wir sie nie wiedersehen«, erklärt Mama bedachtsam. Meine Eltern beginnen bereits damit, Zweifel in Amie zu säen, aber weil meine kleine Schwester freimütig mit allen über alles plaudert, was ihr gerade in den Sinn kommt, kann man ihr die wichtigen Sachen meistens nicht sagen. Dabei höre ich gern zu, wenn Amie von ihren Klassenkameradinnen erzählt oder von den Sendungen, die sie im Stream gesehen hat. Das entspannt mich vor den nächtlichen Übungen, bei denen ich lerne, was ich sagen darf und was nicht. Wenn ich mich vor dem Einschlafen an meine Schweste kuschle, ist das der einzige Moment, in dem ich mich wirklich normal fühle.
    Aber auch ein Kuchen macht nur für einen Abend glücklich. Meine Eltern haben ein hartes Stück Arbeit vor sich, wenn sie Amie darauf vorbereiten wollen, bei den Prüfungen durchzufallen. Sie hat nie auch nur das kleinste bisschen Begabung fürs Weben gezeigt, aber sie werden trotzdem mit ihr üben. Ich frage mich, ob sie in vier Jahren, wenn sie dran ist, immer noch so scharf darauf sein wird, zu gehen.
    »Marfa sagt, wenn sie eine Webjungfer wird, dann wird ihr Foto immer auf der Titelseite des Bulletins sein, sodass ihre Eltern sich keine Sorgen machen müssen. So würde ich das auch machen«, erklärt sie mit gewichtiger Miene, als habe sie alles sorgfältig durchdacht.
    Mama lächelt, gibt jedoch keine Antwort. Wie die meisten Mädchen in ihrem Alter gerät Amie angesichts der Hochglanzbilder im Bulletin immer ins Schwärmen, aber eigentlich versteht sie nicht, was Webjungfern machen. Natürlich weiß sie, dass sie die Materie unserer Welt erhalten und gestalten. Jedes Mädchen lernt das ziemlich früh in der Akademie. Aber eines Tages werden meine Eltern ihr erklären, was Webjungfern wirklich tun – dass, egal wie gut man es auch meint, mit absoluter Macht immer auch Korruption einhergeht. Und die Gilde hat die absolute Macht über uns und die Webjungfern. Aber sie ernährt und beschützt uns auch. Ich höre zwar auf meine Eltern, aber eigentlich verstehe ich es nicht ganz. Kann es denn so schlecht sein, für andere zu sorgen, ihnen Nahrung und Sicherheit zu geben? Ich weiß nur, dass das, was mit mir passiert, ihnen das Herz brechen wird. Wenn ich erst einmal weg bin, werde ich nie wieder jemandem mitteilen können, dass es mir gut geht. Wahrscheinlich werde ich auch mein Bild im Bulletin abdrucken lassen, so wie Marfa Crossix.
    Schweigend essen wir weiter – alle starren auf das weiße, schaumige Ding in unserer Mitte. Der kleine Esstisch aus Eichenholz hat genau die richtige Größe für vier Leute, wir können einander Schüsseln und Teller reichen, aber heute trägt meine Mutter auf, weil neben dem Kuchen nichts mehr auf den Tisch passt.
    Ich beneide Amie um das Leuchten in ihren Augen, während sie den Kuchen betrachtet. Vermutlich stellt sie sich vor, wie er schmeckt, oder wie ihr eigener Geburtstagskuchen aussehen soll. Meine Eltern hingegen sitzen in stummer Erleichterung da, mehr Feierstimmung können sie nicht aufbringen.
    »Es tut mir leid, dass du durchgefallen bist, Ad.« Amie schaut hoch zu mir. Ihr sehnsuchtsvoller Blick kehrt zu dem Kuchen zurück.
    »Adelice hat nicht versagt«, wirft mein Vater ein.
    »Aber sie wurde doch nicht berufen.«
    »Wir wollten auch nicht, dass sie berufen wird«, erklärt meine Mutter.
    »Wolltest du berufen werden, Ad?«, fragt Amie ernsthaft und unschuldig.
    Ich deute ein Kopfschütteln an.
    »Aber warum denn nicht?«, fragt Amie.
    »Willst du etwa so ein Leben?«, fragt meine Mutter sie ruhig.
    »Was habt ihr denn gegen Webjungfern? Ich verstehe nicht, wieso wir überhaupt feiern.« Amie hält den Blick auf den Kuchen gerichtet. So unverblümt ist sie uns gegenüber noch nie gewesen.
    »Wir sind nicht gegen die Webjungfernschaft«, beeilt sich meine Mutter zu sagen.
    »Oder die Gilde«, fügt Papa hinzu.
    »Oder die Gilde«, wiederholt Mama mit einem Nicken. »Aber wenn du die Prüfungen bestehst, kannst du nie wieder hierher zurückkommen.«
    Hier – dieses beengte Haus im Mädchenviertel, mit vier Zimmern, Küche und Bad, in dem ich abgeschirmt von gleichaltrigen Jungs aufgewachsen bin. Mein Zuhause, in dem die Bücher hinter der Wandverkleidung versteckt werden, genau wie die Familienerbstücke, die seit fast hundert Jahren von Mutter zu Tochter weitergegeben werden. Besonders das Radio habe ich immer gemocht, obwohl es nicht mehr funktioniert. Mama sagt, dass es
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