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Clementine

Clementine

Titel: Clementine
Autoren: Sara Pennypacker
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für alles und deshalb finde ich, dass er der Chef ist. Und er weiß, dass ich bessere Laune bekomme, wenn ich mit dem Lastenaufzug fahren darf.
    Dad sagte: »Viermal, Kumpel, mehr nicht. Und oben im Siebten wird gerade gestrichen. Wenn die Maler den Fahrstuhl brauchen,  dann musst du raus.«
    Ich fuhr also hoch in den Siebten, um nachzusehen, ob die Maler Hilfe brauchten. Man weiß ja nie.
    Und stellt euch vor, was ich da sah: Drei Männer, die die Decke anstrichen – auf Stelzen! Und das ist jetzt nicht erfunden.
    »Braucht ihr Hilfe?«, fragte ich. »Soll ich mir Stelzen anschnallen?«
    Ich nehme an, sie wollten höflich sein, denn sie sagten: »Nein, danke, Kleine, wir haben alles im Griff«, obwohl ich doch sehen konnte, dass sie noch sehr viel zu tun hatten.
    Also fuhr ich noch genau drei Mal mit dem Fahrstuhl und ging dann wieder nach Hause. Als ich die Tür aufschloss, konnte ich hören, wie meine Mom noch immer mit meinem Dad über den Zettel sprach.
    »Was glaubst du, wie ihr da zu Mute war?«, fragte sie. »Stell dir das mal vor! Als ob unsere Tochter eine stadtbekannte Verbrecherin wäre!«
    Mein Dad schnaubte und sagte dann: »Na, zum Teil stimmt es ja. Stadtbekannt ist Clementine ja fast.«
    Und meine Mom sagte: »Das ist nicht komisch«, und mein Dad sagte: »Doch, ist es wohl. Ein bisschen«, und meine Mom sagte: »Okay, meinetwegen. Ein bisschen. Aber was sollen wir jetzt machen?«
    Und dann machte ich ganz schnell die Tür zu und ging wieder nach draußen, ehe ich die Antwort hören konnte, für den Fall, dass sie »Wir tauschen sie gegen ein pflegeleichteres Kind ein« lautete.
    Ich saß in der Eingangshalle und wartete darauf, dass sich genug Mut ansammelte, damit ich in den Fünften fahren und Margrets Mutter um Entschuldigung und um einen Zettel bitten könnte, auf dem stand: »Ich halte eure Tochter nicht für eine stadtbekannte Verbrecherin.« Endlich war genug Mut da.
    Ich fuhr nicht mit dem Fahrstuhl zu Margret hoch, weil ich nicht riskieren wollte, der alten Frau Jacobi zu begegnen. Immer wenn ich ihr über den Weg laufe, gibt sie mir einen Fünfdollarschein und sagt: »Geh doch mal eben in den Laden und hol mir eine Schachtel Cornflakes, Herzchen.« Ich mache das aber nicht so gern, denn dann muss ich die Schachtel zu ihr ins oberste Stockwerk bringen und mit ihr reden, während sie das Wechselgeld zählt und mir dann fünfzig Cent gibt. Aber wenn sie mich fragt, muss ich Ja sagen, denn a) sie ist vierhundert Jahre alt und ich bin höflich und b) ich brauche das Geld, weil ich auf einen Gorilla spare, und ich bin ganz sicher, die kosten ein Vermögen, ein Vermögen!
    Auf jeden Fall hatte ich nicht auch noch den Mut, »nein, danke« zu Frau Jacobi zu sagen. Also stieg ich die Hintertreppe hoch – fünfmal zwölf Stufen, das macht sechzig –, ging zur Wohnung 5 a und klopfte.
    Margrets Mutter machte auf; sie stand einfach nur da und sah aus wie ein Zeitschriftenbild einer Mutter auf einem Zeitschriftenbild eines Wohnzimmers.
    Ich sagte »hallo« und obwohl ich es noch nie geübt hatte, klang meine Stimme genau wie die einer stadtbekannten Verbrecherin.
    »Du kannst heute nicht mit Margret spielen. Sie verbringt den Nachmittag in ihrem Zimmer und denkt über die Konsequenzen ihres Verhaltens nach. Was du auch tun solltest.«
    Okay, meinetwegen, das Letzte hat sie nicht gesagt. Aber ich wusste genau, dass sie es dachte.
    Hinter ihr beugte sich Margrets Bruder Mitchell aus der Küchentür, deshalb konnte ich nur seinen Kopf und die Schultern sehen. Und dann, obwohl er doch schon aufs Gymnasium geht und es besser wissen müsste, packte er sich an den Haaren und tat so, als ob er sich selbst in die Küche ziehen müsste. Und ich musste lachen, obwohl ich doch wusste, dass es seine Hand war.
    Ich finde nicht, dass man Leute schwierig nennen sollte, weil sie andere zum Lachen bringen.
    »Clementine, das ist überhaupt nicht witzig«, sagte Margrets Mutter.

    Ich erzählte ihr nicht, was so witzig gewesen war, und ich sagte auch nicht Entschuldigung und bat um keinen neuen Zettel, weil ich ja nicht wusste, ob ich noch immer die Stimme einer stadtbekannten Verbrecherin hatte. Ich rannte einfach durch den Flur davon.
    Diesmal fuhr ich mit dem Fahrstuhl, weil ich hoffte, dass ich Frau Jacobi treffen würde, um nicht gleich nach Hause gehen zu müssen. Aber ich traf sie nicht und deshalb ging ich doch nach Hause. Und als ich die Tür aufschloss, sah ich, dass unser Wohnzimmer ganz falsch
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