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Clark Mary Higgins

Clark Mary Higgins

Titel: Clark Mary Higgins
Autoren: Schlaf Wohl Mein Sußes Kind
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diesem Zimmer »von heiterer Eleganz, in der unverwechselbaren Neeve-Kearney-Handschrift«, wie sie es ausdrückten, fotografiert.
    Neeve schlüpfte in ihre gefütterten Pantoffeln und ließ das
Rollo hochschnellen. Der Meteorologe brauchte in der Tat kein
Genie zu sein, um zu sagen, daß ein starkes Schneetreiben
herrschte. Sonst fiel der Blick aus ihrem Zimmer in dem Ecke
74. Straße und Riverside Drive gelegenen »Schwab House« direkt auf den Hudson River, aber jetzt konnte sie kaum die Gebäude auf dem jenseitigen Ufer in New Jersey ausmachen. Die
Henry-Hudson-Schnellstraße war schneebedeckt, und der bereits
dichte Verkehr bewegte sich nur langsam vorwärts. Zweifellos
waren die Kummer gewohnten Pendler sehr früh aufgebrochen.
    Myles Kearney war schon in der Küche und hatte den Kaffee
aufgestellt. Neeve gab ihrem Vater einen Kuß auf die Wange
und zwang sich, keine Bemerkung zu machen, wie müde er aussähe. Es bedeutete, daß er wieder schlecht geschlafen hatte.
Wenn er sich doch nur einmal gehenlassen und eine Schlaftablette nehmen würde, dachte sie. »Wie geht’s denn der Legende?« fragte sie ihn. Seit seiner Pensionierung im vergangenen
Jahr nannten die Zeitungen ihn ständig »New Yorks legendären
Polizeichef«. Er haßte es.
    Er überging ihre Frage, warf ihr einen Blick zu und machte
eine erstaunte Miene. »Sag nicht, daß du darauf verzichtest, im
Central Park herumzurennen!« rief er aus. »Was sind schon
dreißig Zentimeter Schnee für die unerschrockene Neeve!«
    Jahrelang waren sie gemeinsam joggen gegangen. Jetzt, da er
nicht mehr rennen durfte, machte er sich Sorgen wegen ihrer
frühmorgendlichen Dauerläufe. Aber im Grunde, vermutete sie,
machte er sich immer irgendwelche Sorgen um sie.
    Sie holte aus dem Kühlschrank den Krug mit Orangensaft.
Ohne ihn zu fragen, goß sie ihrem Vater ein großes Glas voll ein
und sich selbst ein kleines. Dann begann sie Toast zu machen.
Früher hatte Myles ein herzhaftes Frühstück genossen. Aber
jetzt waren Eier mit Speck vom Programm gestrichen, ebenso
Käse und Beefsteak und, wie Myles sich ausdrückte, »die Hälfte
aller Sachen, deretwegen man sich aufs Essen freut«. Sein
schwerer Herzinfarkt hatte seinen Speisezettel eingeschränkt
und auch seine Karriere beendet.
    Sie leisteten einander stumm Gesellschaft und teilten sich in
stillschweigendem Einverständnis die New York Times. Doch als
Neeve aufblickte, sah sie, daß Myles nicht las. Er starrte auf die
Zeitung, ohne sie zu sehen. Toast und Fruchtsaft standen noch
unberührt vor ihm. Nur von dem Kaffee hatte er offensichtlich
etwas getrunken. Neeve legte ihren Teil der Zeitung hin.
    »Also gut«, sagte sie. »Raus mit der Sprache! Fühlst du dich
miserabel? Ich hoffe bei Gott, daß du mittlerweile vernünftig
genug bist, nicht stumm den Leidenden zu spielen.«
    »Nein, mir geht’s gut«, sagte Myles. »Das heißt, falls du die
Schmerzen in der Brust meinst, ist die Antwort: Nein.« Er warf
die Zeitung auf den Boden und griff nach seiner Kaffeetasse.
»Nicky Sepetti wird heute aus dem Gefängnis entlassen.«
Neeve hielt den Atem an. »Ich dachte, sie hätten ihm letztes
Jahr die Begnadigung verweigert.«
    »Ja – aber jetzt hat er seine Strafe abgesessen, jeden Tag, abzüglich der Zeit für gute Führung. Heute abend wird er in New
York zurück sein.« Kalter Haß verhärtete Myles’ Gesicht.
    »Dad, sieh dich mal im Spiegel an. Mach nur so weiter, dann
wirst du es zu einem neuen Herzinfarkt bringen.« Neeve merkte,
daß ihre Hände zitterten. Sie hielt sich am Tisch fest in der
Hoffnung, daß Myles es nicht merken und daraus schließen
würde, daß sie Angst hatte. »Mir ist es egal, ob Sepetti die Drohung ausgestoßen hat oder nicht, als er verurteilt wurde. Du hast
jahrelang versucht, ihm nachzuweisen…« Ihre Stimme stockte,
dann fuhr sie fort: »Nie ist auch nur der geringste Beweis zum
Vorschein gekommen, der ihn mit der Sache in Verbindung gebracht hätte. Und fang jetzt um Gottes willen nicht damit an, dir
meinetwegen Sorgen zu machen, weil er wieder frei herumläuft!«
    Ihr Vater war der Staatsanwalt gewesen, der den Kopf der
Mafia-Familie Sepetti, Nicky Sepetti, hinter Gitter gebracht hatte. Nach der Verkündigung des Urteils war Nicky gefragt worden, ob er irgend etwas zu sagen hätte. Er hatte auf Myles gedeutet. »Wie ich höre, findet man, daß Sie in meinem Fall so
gute Arbeit geleistet haben, daß man Sie zum PolizeiCommissioner ernannt
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