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Chucks Welt

Chucks Welt

Titel: Chucks Welt
Autoren: Aaron Karo
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weil die Zahl dreizehn genauso wenig mein Ding ist wie die Gehwegritzen. Ich finde es dämlich, dass manche Gebäude gar keinen dreizehnten Stock haben, bloß weil das angeblich Unglück bringt. Ist doch bloß eine Zahl. (Sagt der Typ mit der Strichliste fürs Wichsen.)
    Dad und ich betreten den Fahrstuhl, doch ich drücke nicht auf den Knopf, obwohl ich näher dran bin. Fahrstuhlknöpfe sind nämlich mein Ding. Die muss man doch ekelhaft finden, oder? Wer weiß schon, wie viele Leute sich in der Nase bohren und dann draufdrücken? Seufzend streckt Dad die Hand aus und drückt auf den Knopf. Im Gegensatz zu Mom kann er sich nicht so gut merken, was mein Ding ist.
    Der Warteraum ist klein und zum Glück leer. Er sieht aus wie das Arbeitszimmer eines Superhelden: Alles langweilig Ton in Ton, aber ich stelle mir vor, wenn du ein ganz bestimmtes Buch aus dem Regal ziehen würdest, käme hinter dem Aquarium ein Geheimversteck zum Vorschein. In einer Ecke stehen ein paar von diesen Kinderstühlchen aus Plastik und auf einem Couchtisch liegen stapelweise abgegriffene Zeitschriften, praktisch auch alles Sachen für Kinder. Ich frage mich, was für Leute wohl sonst hierherkommen. Kann man mit neun schon Depressionen haben?
    Um Dad zu beeindrucken, schnappe ich mir ein ganz normales Sportmagazin, eins für Erwachsene, aber wie sich herausstellt, ist es schon zwei Jahre alt. Ahladita Srinivasan braucht ganz klar neue Zeitschriften.
    Wir warten nur ein paar Minuten, dann geht die Tür zum Behandlungszimmer auf und Dr.   Srinivasan kommt heraus, zusammen mit einem irre großen Mädchen. Irre groß, echt. Meine Größe ist Durchschnitt für einen Siebzehnjährigen und Beth überragt mich ein bisschen. Dieses Mädchen ist deutlich größer als Beth. Vielleicht ist das ihr Problem: ihre Größe. Sie geht schnurstracks an uns vorbei. Ich denke mal, sie ist in etwa so alt wie ich. Keiner ist da, um sie abzuholen, also muss sie selbst hergefahren sein. Auf einmal fühle ich mich total blöd, wie ich da neben meinem Dad sitze.
    Dr.   Srinivasan sieht aus wie eine Birne. Ihr Kopf ist winzig, weiter unten wird sie immer breiter. In zwei Punkten habe ich mit meinen Erwartungen total richtiggelegen: Sie hat eine Brille und trägt tonnenweise Schmuck. Genau wie man sich eine indische Psychiaterin vorstellt. Eins allerdings habe ich nicht erwartet: Sie hat Sneakers an. Low-Top-Nikes in irgendwas Wildlederartigem, die eher OldSchool wirken. Blau mit einer gelben Nike-Welle. Ich bin ganz klar der Converse-Typ, aber diese Wahl verdient Respekt.
    »Du musst Chuck Taylor sein?«, sagt sie zu mir, als ich und Dad aufstehen.
    Dad antwortet als Erster.
    »Ich bin Ray Taylor, Chucks Vater. Sie haben mit meiner Frau telefoniert, Molly.«
    »Ja, natürlich. Schön, Sie kennenzulernen. Chuck, warum kommst du nicht rein und setzt dich? Und Sie, Mr   Taylor, machen es sich hier mit einer Zeitschrift bequem?«
    Ich werfe einen letzten Blick auf Dad, bevor ich in das Zimmer von Dr.   Srinivasan stapfe. Der Raum wirkt wie eine deutlich modernere Version des Wartezimmers. Es riecht nach neuem Teppichboden, dazu liegt ein Hauch von Zimt in der Luft. Im Regal steht eins von diesen Soundbox-Teilen. Im Moment scheint es auf Bachgeplätscher eingestellt zu sein. Es gibt zwei Ledersessel, dazwischen einen Couchtisch. Auf dem Couchtisch steht eine Taschentuchbox. Eine leere Taschentuchbox. Kein gutes Zeichen. Wir setzen uns.
    »Wie geht’s dir heute, Chuck?«
    Zum ersten Mal sehe ich sie direkt an. »Ganz okay.«
    »Zuallerst will ich einmal festhalten, dass alles, was wir hier reden, vertraulich ist? Was du sagst, bleibt in diesen vier Wänden? Von außergewöhnlichen Umständen einmal abgesehen, falls ich zum Beispiel das Gefühl bekäme, du seist in Gefahr? Versteht du das?«
    Dr.   Srinivasan hat einen starken Akzent und mir wird klar, dass sie deshalb mit der Stimme am Ende des Satzes immer oben bleibt   – alles, was sie sagt, klingt wie eine Frage, auch wenn es gar keine ist.
    »Chuck? Das ist wichtig?«
    »Tut mir leid   … wollen Sie wissen, ob ich Sie verstehe oder was?«
    »Ob du das verstehst, ja?«
    »Das tue ich.«
    Sie schlägt die Beine übereinander und legt sich einen kleinenNotizblock in den Schoß. Ich kann’s immer noch nicht fassen, dass sie Sneakers trägt und dazu ein Kleid. Total schräg.
    »In der ersten Sitzung mache ich in der Regel etwas, das sich Aufnahmegespräch nennt. Das heißt eigentlich nur, dass ich ein paar
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