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Chucks Welt

Chucks Welt

Titel: Chucks Welt
Autoren: Aaron Karo
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willst nicht. Vergangenen Sommer war das noch härter als sonst, weil Steve mit seinen Eltern weg war, an die zwei Monate lang. Da war ich allein mit meinen vielen bunten Chucks, habe in Plainville festgesteckt und mich zu Tode gelangweilt. Mom war die Einzige, die mich ab und zu mal gefragt hat, wie’s mir geht, aber wie gesagt, Mom zählt nicht.
    In meinem Wandschrank habe ich eine derart perfekte Ordnung, dass es sich andere Leute wahrscheinlich dreimal überlegen würden, bevor sie sich trauen, irgendwas darin anzufassen   – in dem Schrank sieht es aus wie in einem Museum, und genau darum geht es ja. Trotzdem habe ich es ziemlich lange dem Zufall überlassen, welche Schuhe ich anziehen wollte: Ich hab mir das Paar geschnappt, das mir an dem Tag gerade gefallen hat, und bin damit losgerannt. Aber wie sich inzwischen jeder vorstellen kann: Ich komme mit dem Zufall nicht besonders gut klar. Irgendwann habe ich morgens meine Schwester Beth an meinem Laptop erwischt, obwohl sie genau weiß, dass sie da nicht dran darf. Ich hab sie zusammengeschissen, aber sie ist einfach weggegangen und hat getan, als würde sie mich gar nicht hören. Beth hat es echt drauf, mich zu ignorieren, sie ist die schlimmste Schwester aller Zeiten. Ich war wahnsinnig wütend und habe mir meine roten Chucks geschnappt. Als ich schon fast draußen war, hat mich Mom gefragt, wie’s mir geht. »Gut«, hab ich gesagt.
    Irgendwo tief in meinem Hirn hat sich in dem Moment eine Synapse geregt, ein Neuron hat gefeuert. Wütend = rote Chucks . Amnächsten Tag war ich irrwitzig müde. Die roten Chucks waren natürlich immer noch da, aber ich war nicht mehr wütend. Da habe ich stattdessen die in Orange genommen. Müde = orange. Das war der Anfang meines Systems. Meine Stimmung am Morgen hat die Farbe meiner Schuhe für diesen Tag entschieden. Dabei ist die Farbzuordnung nicht sonderlich sinnvoll   – ich meine, orange und müde, da gibt’s echt keinen Zusammenhang   –, aber in meinen Kopf war das nun mal so eingebrannt. Und es war genau wie bei der Sache mit dem Herd oder der Strichliste übers Wichsen: Wenn so eine Verbindung in meinem Kopf erst mal geklickt hat, komme ich nicht mehr dagegen an. So habe ich angefangen, das, was ich fühle, nicht normal und direkt auszudrücken, sondern die Farbe meiner Schuhe als eine Art Kurzschrift einzusetzen. Jeden Tag eine andere Stimmung und eine andere Farbe. So eine Art Warnstufensystem für meine Gefühle. Bloß hat bis jetzt niemand   – nicht mal Steve   – begriffen, was ich da tue.

S teve und ich hängen oft bei ihm zu Hause ab, meistens spielen wir unten im Keller Videospiele.
    »Hast du gestern Abend Sensual Moon 3 gesehen?«, fragt Steve.
    »Davon gibt’s einen dritten Teil? Ich wusste nicht mal was von einem zweiten«, antworte ich.
    Steve steht total auf die Softpornos, die mitten in der Nacht auf Skinemax kommen. Er geht abends ins Bett, stellt sich den Wecker für drei Stunden später und macht den Fernseher an.
    »Na logisch hat’s einen zweiten Teil gegeben, das war doch der beste!«
    Steve liebt Skinemax. Auch wenn sich weltweit so ziemlich jedes männliche Wesen Pornos im Internet anschaut, legt Steve Wert darauf, in Sachen Selbstbefriedigung ein »Traditionalist« zu sein. Er schätzt die »Produktionsqualität« der Fernsehfilme. Steve hat einen kompletten Knall, echt. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum wir zwei so gut miteinander auskommen.
    Kennengelernt haben wir uns in der vierten Klasse, seine Familie war gerade erst nach Plainville gezogen. Weil Steve neu war, hatte er keine Freunde. Ich hatte auch keine, obwohl ich mein ganzes Leben hier verbracht habe. Seitdem sind wir beide beste Freunde.
    »Nein, hab ich nicht gesehen. Die Kabelsender sind bei mir im Zimmer gesperrt«, sage ich.
    »Mann, das war echt super. Online gibt’s natürlich viel härtere Sachen, aber Sensual Moon hat so was Stilvolles. Hat mich erinnert an   …«
    »Das eine Mal, als es dir dieses Mädel besorgt hat?«
    »Ja, das war absolut irre.«
    Als Steve letzten Sommer mit seinen Eltern auf Tour durch die großen Nationalparks war, hat ihm angeblich ein Mädchen aus Kalifornien einen runtergeholt. Dieses Ereignis ist der einsame Höhepunkt seines Lebens, er redet pausenlos darüber. Kann ich ihm nicht übel nehmen. Schließlich gibt es sonst kaum was in seinem Leben, das so richtig kickt. Genau wie ich hat Steve einen ausgefallenen Namen   – Steve Hushlicker. Aber während mein Name der
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