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Chronik eines angekuendigten Todes

Chronik eines angekuendigten Todes

Titel: Chronik eines angekuendigten Todes
Autoren: Gabriel García Márquez
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Schwester Margot zum Empfang des Bischofs aufbrach, gerade die Yuccawurzeln für die Pasteten. »Man hörte Hähne krähen«, pflegt meine Mutter zu sagen, wenn siesich an jenen Tag erinnert. Doch sie hat den fernen Lärm nie auf die Ankunft des Bischofs, sondern auf das letzte Holdrio der Hochzeit bezogen.
    Unser Haus lag weit von der großen Plaza entfernt mit der Front zum Fluss in einem Mangowäldchen. Meine Schwester Margot war auf dem Uferweg zum Hafen gegangen, und die Leute waren durch den Besuch des Bischofs viel zu aufgeregt, um sich um andere Neuigkeiten zu kümmern. Unter die Arkaden hatten sie die Betten der Kranken gestellt, auf dass diese die Medizin Gottes empfingen, die Frauen rannten mit Putern, Spanferkeln und allerlei Essbarem aus den Innenhöfen, und vom gegenüberliegenden Flussufer kamen blumengeschmückte Kanus angerudert. Doch nachdem der Bischof vorbeigefahren war, ohne seine Spur an Land hinterlassen zu haben, wuchs sich die andere, verdrängte Nachricht zum Skandal aus. Nun erfuhr meine Schwester Margot alles in seiner ganzen Grausamkeit: Ángela Vicario, das bildschöne Mädchen, das am Vortag geheiratet hatte, war in ihr Elternhaus zurückgeschickt worden, weil ihr Ehemann festgestellt hatte, dass sie nicht mehr Jungfrau war. »Ich hatte das Gefühl, als sei ich es, die sterben würde«, sagte meine Schwester. »Doch sooft die Geschichte auch rückwärts und vorwärts gedreht wurde, keiner konnte mir erklären, wie der arme Santiago Nasar am Ende in dieses Schlamassel hineingeraten war.« Mit Sicherheit wusste man nur, dass Ángela Vicarios Brüder auf ihn warteten, um ihn zu töten.
    Meine Schwester ging heim und biss sich die Lippen wund, um nicht zu weinen. Im Esszimmer traf sie auf meine Mutter, die ihr blaugeblümtes Sonntagskleidfür den Fall angezogen hatte, der Bischof käme vorbei, um uns zu begrüßen, und, während sie den Tisch deckte, das Fado-Lied von der unsichtbaren Liebe sang. Meine Schwester bemerkte, dass sie ein Gedeck mehr als gewöhnlich aufgelegt hatte.
    »Das ist für Santiago Nasar«, meinte meine Mutter zu ihr. »Ich habe gehört, du hast ihn zum Frühstück eingeladen.«
    »Nimm’s weg«, sagte meine Schwester.
    Dann erzählte sie. »Aber es war, als wisse sie es bereits«, sagte sie zu mir. »Es war wie immer: Man erzählt ihr etwas, und bevor die Erzählung bis zur Hälfte gediehen ist, weiß sie schon, wie diese endet.« Jene böse Nachricht war für meine Mutter ein deutbares Rätsel. Man hatte Santiago Nasar nach ihr benannt, sie war seine Taufpatin, sie war aber auch blutsverwandt mit Pura Vicario, der Mutter der zurückgeschickten Braut. Sie hatte die Nachricht noch nicht ganz gehört, als sie bereits ihre hochhackigen Schuhe anzog und die Kirchenmantille anlegte, die sie nur bei Beileidsbesuchen trug. Mein Vater, der alles vom Bett aus gehört hatte, erschien im Pyjama im Esszimmer und fragte besorgt, wohin sie gehe.
    »Meine Gevatterin Plácida warnen«, erwiderte sie. »Es ist nicht recht, wenn alle Welt weiß, dass man ihren Sohn töten wird, und sie allein weiß es nicht.«
    »Wir haben zu den Vicarios eine ebenso enge Beziehung wie zu ihr«, sagte mein Vater.
    »Man muss immer auf der Seite des Toten sein«, sagte sie.
    Meine jüngeren Brüder tauchten nach und nach aus den anderen Zimmern auf. Die kleinsten, berührt vomHauch der Tragödie, brachen in Tränen aus. Meine Mutter achtete einmal in ihrem Leben nicht auf sie und schenkte auch ihrem Mann keine Aufmerksamkeit.
    »Warte, ich zieh mich an«, sagte er zu ihr.
    Sie war schon auf der Straße. Mein Bruder Jaime, damals erst sieben Jahre alt, war der Einzige, der für die Schule angekleidet war.
    »Begleite du sie«, befahl mein Vater.
    Jaime rannte hinter ihr her, ohne zu wissen, was los war und wohin sie gingen, und klammerte sich an ihre Hand. »Sie ging und sprach vor sich hin«, erzählte mir Jaime. »Üble Gesellen«, sagte sie leise, »Scheißkerle, zu nichts anderem fähig, als Unheil zu stiften.« Sie merkte nicht einmal, dass sie den kleinen Jungen an der Hand hatte. »Die Leute mussten denken, ich sei übergeschnappt«, sagte sie zu mir. »Das Einzige, woran ich mich erinnere, ist, dass in der Ferne der Lärm eines Menschenauflaufs zu hören war, als habe das Hochzeitsfest von neuem begonnen, und dass alle Welt in Richtung Plaza rannte.« Sie beschleunigte ihre Schritte mit der Entschlossenheit, zu der sie fähig war, wenn ein Leben auf dem Spiel stand, bis jemand, der in die
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