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Chronik eines angekuendigten Todes

Chronik eines angekuendigten Todes

Titel: Chronik eines angekuendigten Todes
Autoren: Gabriel García Márquez
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von schwulen Memmen könne nur ein Mann wie er die Tragödie verhindern.
    Alles, was dann geschah, ist allgemein bekannt. Die Leute, die vom Hafen zurückkehrten und durch das Geschrei aufmerksam geworden waren, nahmen auf der Plaza Aufstellung, um dem Verbrechen beizuwohnen. Cristo Bedoya fragte mehrere Bekannte nach Santiago Nasar, doch niemand hatte ihn gesehen. In der Tür des Gesellschaftsklubs stieß er auf Oberst Lázaro Aponte und erzählte ihm, was sich soeben vor Clotilde Armentas Laden abgespielt hatte.
    »Das kann nicht sein«, sagte Oberst Aponte, »denn ich habe sie schlafen geschickt.«
    »Ich habe sie soeben mit einem Schlachtermesser gesehen«, sagte Cristo Bedoya.
    »Das kann nicht sein, denn ich habe ihnen die Messer abgenommen, bevor ich sie schlafen schickte«, sagte der Bürgermeister. »Du musst sie vorher gesehen haben.«
    »Ich habe sie vor zwei Minuten gesehen, und jeder von ihnen hielt ein Messer zum Schweineschlachten in der Hand«, sagte Cristo Bedoya.
    »Oh, Scheiße«, sagte der Bürgermeister. »Dann müssen sie mit anderen Messern zurückgekommen sein!«
    Er versprach, sich unverzüglich der Sache anzunehmen, betrat aber den Gesellschaftsklub, um für denAbend eine Dominopartie zu verabreden, und als er wieder herauskam, war das Verbrechen bereits geschehen. Cristo Bedoya beging nun seinen einzigen tödlichen Fehler: Er dachte, Santiago Nasar habe in letzter Minute beschlossen, vor dem Umkleiden bei uns zu frühstücken, und ging zu unserem Haus, um ihn zu holen. Er eilte am Flussufer entlang und fragte jeden, der ihm entgegenkam, ob er zufällig Santiago Nasar begegnet sei, doch niemand konnte ihm das bestätigen. Es beunruhigte ihn nicht, denn es gab andere Wege zu unserem Haus. Próspera Arango, die Bogotanerin, flehte ihn an, er möge etwas für ihren Vater tun, der, immun gegen den flüchtigen Segen des Bischofs, auf dem Platz vor seinem Hause im Sterben lag. »Ich hatte ihn im Vorbeigehen gesehen«, sagte meine Schwester Margot zu mir, »er hatte schon das Gesicht eines Toten.« Cristo Bedoya hielt sich dort vier Minuten auf, um sich ein Bild vom Zustand des Kranken zu machen, und versprach, später zu einer Notbehandlung zurückzukehren, verlor aber weitere drei Minuten dabei, Próspera Arango zu helfen, den Vater ins Schlafzimmer zu schaffen. Als er wieder auf die Straße trat, hörte er ferne Schreie, und ihm schien, als würden in der Gegend der Plaza Feuerwerkskörper gezündet. Er versuchte zu rennen, aber der ungeschickt im Gürtel steckende Revolver behinderte ihn dabei. Als er um die letzte Ecke bog, erkannte er von hinten meine Mutter, die ihren jüngsten Sohn fast hinter sich her schleifte.
    »Luisa Santiaga«, schrie er ihr zu, »wo ist Ihr Patenkind?«
    Meine Mutter wandte ihm kaum ihr tränengebadetesGesicht zu. »Ach, Junge«, erwiderte sie, »es heißt, sie haben ihn getötet!«
    So war es. Während Cristo Bedoya ihn suchte, hatte Santiago Nasar das Haus seiner Verlobten Flora Miguel betreten, genau an der Ecke, wo Cristo Bedoya ihn zum letzten Mal gesehen hatte. »Ich kam nicht auf die Idee, dass er dort sein könne«, sagte er zu mir, »weil diese Leute nie vor Mittag aufstehen.« Es war landläufige Meinung, dass die ganze Familie auf Befehl von Nahir Miguel, dem Weisen der Gemeinde, bis zwölf schlief. »Daher hielt sich Flora Miguel, die nicht mehr ganz so jung war, frisch wie eine Rose«, sagte Mercedes. Tatsächlich öffneten sie das Haus erst sehr spät, wie manche andere auch, waren aber Frühaufsteher und arbeitsam. Santiago Nasars und Flora Miguels Eltern waren übereingekommen, sie miteinander zu verheiraten. Santiago Nasar war noch nicht erwachsen gewesen, als er sich auf die Verlobung einließ, jedoch entschlossen, sie zu erfüllen, vielleicht weil er genau wie sein Vater die Ehe als Zweckbündnis ansah. Flora Miguel ihrerseits hatte zwar etwas Blumenhaftes, es mangelte ihr aber an Anmut und Verstand, und da sie bereits ihrer gesamten Generation als Trauzeugin gedient hatte, war die Vereinbarung für sie eine glückliche Fügung. Die Verlobungszeit der beiden war unproblematisch, förmliche Besuche oder Unruhe des Herzens gab es nicht. Die mehrmals verschobene Hochzeit war schließlich für das kommende Weihnachtsfest anberaumt worden.
    Flora Miguel erwachte an jenem Montag vom ersten Heulen des Bischofsschiffs; gleich darauf erfuhr sie, dass die Zwillinge Vicario auf Santiago Nasarwarteten, um ihn zu töten. Meiner Schwester, der Nonne, der
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