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Chronik eines angekuendigten Todes

Chronik eines angekuendigten Todes

Titel: Chronik eines angekuendigten Todes
Autoren: Gabriel García Márquez
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sich herausgeputzt hatten, um den Bischof zu begrüßen, und lud Santiago Nasar zu einem Kaffee ein. »Ich wollte Zeit gewinnen, um mir etwas zu überlegen«, sagte er zu mir. Aber Santiago Nasar erwiderte ihm, er müsse sich noch schnell umziehen, um mit meiner Schwester zu frühstücken. »Ich gab auf«, erklärte mir Celeste Dangond, »denn mit einem Mal hatte ich den Eindruck, dass sie ihn nicht töten konnten, da er selbst so sicher wusste, was er demnächst tun würde.« Yamil Shaium war der Einzige, der tat, was er sich vorgenommen hatte. Sobald er von dem Gerücht hörte, trat er vor die Tür seines Stoffgeschäfts und wartete auf Santiago, um ihn zu warnen. Er war einer der letzten Araber, die mit Ibrahim Nasar ins Dorf gekommen waren, war bis zu dessen Tode sein Kumpan beim Kartenspiel gewesen und der Ratgeber der Familie geblieben. Niemand verfügte über so vielAutorität, um mit Santiago Nasar zu reden. Dennoch wollte er ihn, für den Fall, dass es sich bloß um ein Gerücht handelte, nicht grundlos beunruhigen, und beschloss, sich zuerst mit Cristo Bedoya zu beraten, der vielleicht Genaueres wusste. Er rief den Vorbeigehenden zu sich. Cristo Bedoya, schon an der Ecke der Plaza, klopfte Santiago Nasar leicht auf die Schulter und ging zu Yamil Shaium.
    »Bis Samstag«, sagte er zu Santiago Nasar.
    Dieser antwortete nicht, sondern wandte sich auf Arabisch an Yamil Shaium, und dieser erwiderte gleichfalls auf Arabisch und krümmte sich vor Lachen. »Es war ein Wortspiel, mit dem wir uns immer amüsierten«, sagte mir Yamil Shaium. Ohne stehen zu bleiben, winkte Santiago Nasar ihnen ein Lebewohl zu und bog um die Ecke zur Plaza. Es war das letzte Mal, dass sie ihn sahen.
    Cristo Bedoya ließ sich kaum Zeit, Yamil Shaiums Information anzuhören, er rannte sogleich aus dem Laden, um Santiago Nasar einzuholen. Er hatte ihn um die Ecke biegen sehen, fand ihn jedoch nicht unter den Gruppen, die sich auf der Plaza zu zerstreuen begannen. Mehrere Leute, die er nach ihm fragte, gaben ihm die gleiche Antwort:
    »Ich habe ihn noch eben mit dir gesehen.«
    Es schien ihm unmöglich, dass Santiago Nasar in so kurzer Zeit bis nach Hause gelangt war, dennoch ging er hinein, um nach ihm zu fragen, denn er fand die Vordertür unverriegelt und halb offen. Er trat ein, ohne den Umschlag auf dem Fußboden zu sehen, und schritt im Halbdunkel durch das Wohnzimmer, bemüht, keinen Lärm zu machen, denn es war noch zufrüh für Besuche, doch die Hunde schlugen im Hinterhaus an und sprangen auf ihn zu. Er beruhigte sie mit seinen Schlüsseln, wie er es vom Hausherrn gelernt hatte, und ging, von ihnen bedrängt, zur Küche. Im Flur begegnete er Divina Flor, die einen Eimer Wasser und einen Lappen trug, um den Wohnzimmerboden zu scheuern. Sie versicherte ihm, Santiago Nasar sei nicht zurückgekehrt. Victoria Guzmán hatte gerade die Kaninchen zum Schmoren auf den Herd gesetzt, als er in die Küche trat. Sie verstand sofort. »Das Herz schlug ihm im Halse«, sagte sie zu mir. Cristo Bedoya fragte sie, ob Santiago Nasar zu Hause sei, und sie antwortete mit gespielter Arglosigkeit, er sei noch nicht zum Schlafen heimgekommen.
    »Die Sache ist ernst«, sagte Cristo Bedoya zu ihr. »Sie suchen ihn, um ihn zu töten.«
    Victoria Guzmán verging ihre Arglosigkeit.
    »Diese armen Burschen töten niemanden«, sagte sie.
    »Sie trinken seit Samstag«, sagte Cristo Bedoya.
    »Eben darum«, erwiderte sie. »Kein Betrunkener frisst seine eigene Kacke.«
    Cristo Bedoya ging ins Wohnzimmer zurück, wo Divina Flor gerade die Fenster öffnete. »Natürlich hat es nicht geregnet«, sagte Cristo Bedoya zu mir. »Es ging kaum auf sieben, und schon kam goldenes Sonnenlicht zu den Fenstern herein.« Wieder fragte er Divina Flor, ob sie sicher sei, dass Santiago Nasar nicht durch die Wohnzimmertür hereingekommen sei. Jetzt war sie nicht mehr so sicher wie beim ersten Mal. Er fragte nach Plácida Linero, und das Mädchen antwortete, es habe ihr gerade eben den Kaffee aufden Nachttisch gestellt, sie aber nicht geweckt. So war es immer: Sie erwachte um sieben, trank ihren Kaffee und ging hinunter, um ihre Anweisungen fürs Mittagessen zu geben. Cristo Bedoya sah auf die Uhr: Es war sechs Uhr sechsundfünfzig. Nun stieg er zum Oberstock hinauf, um sich davon zu überzeugen, dass Santiago Nasar nicht heimgekommen war.
    Die Schlafzimmertür war von innen abgeschlossen, denn Santiago Nasar war durch das Schlafzimmer seiner Mutter hinausgegangen. Cristo Bedoya
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