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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
Autoren: Anne Rice
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Bauen keine eisernen Schaufeln benutzen konnte, weil Eisen eine eigene Macht besitzt, und man konnte eine eiserne Schaufel nicht über die Ziegel für den Tempel des Herrn erheben, damals nicht und heute auch nicht.«
    Das schienen mir bizarre Ansichten zu sein, obwohl Merrick rein bibelkundlich gesehen Recht hatte.
    Sie führte den Gedanken fort. »Eisen und Kelle - die Verbindung reicht weit zurück. Der König von Babylo n hatte eine Eisenkelle, mit der er Ziegel für den Tempel bearbeitete. Und die Freimaurer - sie haben diese Vorstellung von der magischen Kraft des Eisens in ihrem Orden bewahrt.«
    Die Leichtigkeit, mit der sie an diese komplexen Vorstellungen heranging, erstaunte mich.
    Ich erinnere mich daran, dass sie mich während dieser Worte anschaute, vielleicht, um meine Reaktion abzuschätzen, und erst da wurde mir klar, wie groß ihr Bedürfnis war, über die Dinge zu sprechen, die man sie gelehrt hatte, über ihre Gedanken zu sprechen und über das, was sie gehört hatte.
    »Aber warum seid ihr so gut zu mir?«, fragte sie mich, wobei sie mein Gesicht unauffällig forschend betrachtete. »Warum Priester und Nonnen gut zu uns sind, ist mir klar. Sie bringen uns immer Essen und Kleidung. Aber ihr, warum seid ihr so? Warum lasst ihr mich ein und gebt mir hier ein Zimmer? Warum lasst ihr mich tun, was ich will? Den ganzen Samstag über habe ich nichts anderes getan, als Magazine anzusehen und Radio zu hören. Warum gebt ihr mir zu essen und versucht sogar, mich zu bewegen, Schuhe anzuziehen?«
    »Kind«, warf Aaron ein, »wir, unsere Organisation, sie ist fast so alt wie die katholische Kirche, ebenso alt wie die Orden der Nonnen und Priester, die euch besucht haben. Ja, eigentlich sogar älter als fast alle anderen Orden.«
    Merrick schaute mich an, als warte sie zusätzlich auf eine Erklärung von mir.
    Und ich sagte: »Wir haben unsere eigenen Glaubensvorstellungen und Traditionen. Schlechtigkeit, Gier, Korruption und Eigennutz sind das Normale. Liebe ist selten. Wir geben Liebe.« Ich genoss bei meinen Worten dieses Gefühl, einem Zweck zu dienen, sich zu engagieren - genoss es, dass wir die unangreifbare Talamasca waren, dass wir uns um den gesellschaftlich Geächteten kümmerten, dass wir den Zaubermeister und den Seher in unseren Schutz nahmen, dass wir Hexen vorm Scheiterhaufen bewahrt hatten und uns sogar um die verirrten Seelen der Toten mühten, ja, selbst um die Schattenwesen, die man gemeinhin fürchtet. Und das alles schon seit weit über tausend Jahren. »Aber diese kleinen Kostbarkeiten hier«, beeilte ich mich dann zu erklären, »deine Familie, dein Erbe - sie sind uns wichtig, weil sie dir wichtig sind. Und sie werden weiterhin dir gehören.« Merrick nickte. Ich hatte die richtigen Worte gewählt. »Hexenkunst ist mein Markenzeichen, Mr. Talbot«, sagte sie schlau, »aber das andere gehört auch zu mir.« Erfreut hatte ich die Begeisterung wahrgenommen, die ihr Gesicht flüchtig erhellte.
    Und nun, ungefähr zwanzig Jahre später, fragte ich mich, was mir eingefallen war, sie auszukundschaften und ihr in Oak Haven nachzuspionieren, nachdem ich ihr altes Haus in New Orleans verlassen vorgefunden hatte. Auf der umlaufenden Veranda des oberen Stockwerks war ich herumspaziert wie ein Vampir aus einem alten Schauerroman und hatte in ihr Schlafzimmerfens ter gespäht, bis sie sich aufgerichtet und in der Dunkelheit meinen Namen gesagt hatte.
    Ich hatte schlecht an ihr gehandelt, das wusste ich, und es war erregend, und ich brauchte sie, und selbstsüchtig war ich auch, und sie fehlte mir - so einfach war das. Vor einer Woche erst hatte ich ihr geschrieben. Allein in dem Stadthaus in der Rue Royale, hatte ich ihr einen Brief geschrieben, mit der Hand, in meinem persönlichen Stil, der sich, anders als mein Schicksal, nicht verändert hatte.
     
    »Liebe Merrick, ja, ich war es, den du draußen auf deiner Veranda gesehen hast. Ich hatte nicht die Absicht, dir Angst zu machen, sondern ich wollte mir nur durch deinen Anblick Linderung schaffen. Ich muss gestehen, ich habe, was du mir hoffentlich vergeben wirst, ein bisschen Schutzengel gespielt, als ich den größten Teil der Nacht da draußen vor deinem Fenster verweilte.
    Ich habe ein dringendes Anliegen an dich ganz persönlich. Ich kann dir nicht schriftlich mitteilen, worum es geht. Ich bitte darum, dass du dich mit mir irgendwo in der Öffentlichkeit triffst, wo du dich vor mir sicher fühlst, den Ort sollst du selbst bestimmen. Schreib
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