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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
Autoren: Anne Rice
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den Norden auf eine vornehme Schule, aber sie kam wieder heim, weil sie hier leben und sterben wollte. Ich würde nie zu diesen Weißen gehen.« Die Bemerkung hatte sie fast acht los hingeworfen. Dann fuhr sie fort:
    »Aber die Große Nananne spricht über Onkel Julien, als ob er noch heute lebte, und als ich noch klein war, erzählten alle, dass er ein gütiger Mensch war. Es scheint, er kannte all seine farbigen Verwandten, und sie sagten, dass er jeden Feind - meinen und auch deinen - mit einem Blick töten konnte. Ich kann später noch mehr von ihm erzählen.«
    Ganz plötzlich hatte sie Aaron angeschaut und bemerkt, wie er beinahe scheu den Blick abwandte. Ich frage mich, ob sie damals die Zukunft gesehen hat - dass die Talamasca-Akten über die Mayfair-Hexen sein Leben verschlingen würden, so sicher, wie der Vampir Lestat meins verschlungen hat. Und nun hatte sich das kleine Mädchen zu einer gut aussehenden, streitbaren Frau entwickelt, die mit mir an diesem Cafétisch saß, und selbst da noch fragte ich mich, was sie über Aarons Tod dachte. Der klapprige, alte Kellner brachte ihr den bestellten Rum, einen dunkelfarbenen St. James aus Martinique. Als er das schwere achteckige Glas füllte, stieg mir das durchdringende Aroma in die Nase. Erinnerungen schossen mir durch den Kopf. Nicht daran, wie es mit uns beiden begonnen hatte, sondern an andere Zeiten.
    Ich wusste, sie würde den Rum hinunterschütten wie Wasser, ich hatte ihre Methode noch gut in Erinnerung. Der Kellner schlurfte zurück zu seiner verborgenen Ecke. Ehe ich noch zu der Flasche greifen konnte, nahm Merrick sie und schenkte sich abermals ein. Ich beobachtete, wie sie mit der Zunge über die Innenseite ihrer Lippen fuhr. Ich beobachtete, wie sie abermals ihre großen, forschenden Augen zu meinem Gesicht hob.
    »Erinnerst du dich daran, wie wir gemeinsam Rum getrunken haben?«, fragte sie, beinahe - aber nur beinahe - lächelnd. Sie war zu angespannt, zu wachsam, um wirklich lächeln zu können. »Du erinnerst dich«, sagte sie. »Ich meine die kurzen Nächte im Dschungel. Ach, wie Recht du hast, wenn du sagst, dass Vampire menschliche Monster sind! Du bist immer noch sehr menschlich. Ich sehe es an deinem Gesichtsausdruck. In deinen Gesten. Und was deinen Körper betrifft, der ist ganz und gar menschlich. Es gibt keinen Hinweis …«
    »Doch, es gibt Hinweise«, widersprach ich ihr. »Und mit der Zeit wirst du sie bemerken. Erst wird dir unbehaglich, dann fürchtest du dich und schließlich gewöhnst du dich daran. Glaub mir, ich weiß es.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch, widersprach aber nicht. Sie nahm einen weiteren Schluck, und ich stellte mir vor, wie gut er ihr schmeckte. Ich wusste, dass sie nicht jeden Tag trank, doch wenn sie einmal trank, dann sehr genießerisch. »So viele Erinnerungen, schöne, Merrick«, flüsterte ich. Es schien mir von äußerster Wichtigkeit, dass ich nicht diesen Erinnerungen nachgab, dass ich vielmehr mich auf jene konzentrierte, die ihre Unschuld so sicher wie möglich bewahrten, auf die, die an heilige Verantwortung gemahnten.
    Aaron war Merrick bis zu seinem Tode hingebungsvoll zugetan, obwohl er es mir gegenüber selten erwähnte. Was hatte sie über seinen tragischen Tod erfahren, der ihn so plötzlich ereilte, außer dass es Unfallflucht gewesen war? Ich hatte zu jener Zeit die Talamasca schon hinter mir gelassen, hatte Aarons Fürsorge, hatte mein sterbliches Leben schon zurückgelassen. Wenn man bedenkt, dass wir ein so langes sterbliches Leben als Gelehrte verbracht hatten, Aaron und ich! Wir hätten doch über jedes Missgeschick erhaben sein müssen. Wer hätte gedacht, dass unsere Nachforschungen für uns zum Fallstrick werden würden, dass sie unser Geschick so nachhaltig von den langen, loyalen Jahren der Hingabe abwenden würden? Aber war nicht einem anderen treuen Mitglied der Talamasca das Gleiche geschehen, meiner geliebten Schülerin Jesse Reeves? Damals, als Merrick noch das ungestüme Kind gewesen war und ich Generaloberst, hatte ich nicht geglaubt, dass die mir verbleibenden Jahre noch große Überraschungen bereithalten könnten. Warum hatte Jesses Schicksal mich nichts gelehrt? Jesse Reeves war meine Schülerin gewesen, mit einer Intensität, wie es bei Merrick nie möglich gewesen war, und die Vampire hatten Jesse geschluckt, mit Haut und Haar.
    Jesse hatte mir einen letzten, hingebungsvollen Brief geschrieben, der von Euphemismen nur so wimmelte und der für niemanden sonst wertvolle
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