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Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs

Titel: Chronik der Vampire 07 - Merrick oder die Schuld des Vampirs
Autoren: Anne Rice
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Sklaven beherbergt hatten.
    Merrick kam auf nackten Füßen die Treppe herab, um mich zu begrüßen. Sie trug ein lavendelfarbenes Kleid mit rosa Blümchen und sah so gar nicht nach einer Hexe aus. Selbst wenn ihre Augen wie bei einer Hinduprinzessin mit einem schwarzen, die Farbe hervorhebenden Kajal-Strich umrandet gewesen wären, hätten sie nicht geheimnisvoller blicken können. Klar traten das Schwarz der Pupille und das Grün der Iris hervor, von einem dunkleren Ring umrahmt. Wunderschöne Augen, betont noch durch den hellen, cremigen Teint des Mädchens. Es hatte das Haar aus der Stirn zurückgebürstet, und seine schlanken Hände hingen entspannt herab. Wie unbefangen sie in diesen ersten Momenten wirkte!
    »Guten Tag, David Talbot«, begrüßte sie mich förmlich. Die Zuversicht, die in ihrer Stimme mitschwang, verzauberte mich. Man konnte Merrick nie abgewöhnen, barfuß zu gehen. Ihre nackten Füße auf dem wollenen Teppich waren schrecklich verführerisch. Ich nahm an, sie sei auf dem Land groß geworden, aber nein, man sagte mir, sie habe in einem alten, heruntergekommenen Stadtteil von New Orleans gelebt, wo die Gehwege verschwunden waren und die verwitterten Häuser vernachlässigt wurden und der blütenübersäte, giftige Oleander baumhoch wuchs.
    Sie hatte dort bei ihrer Patin gelebt, bei der Großen Nananne, der Hexe, die sie all ihr Wissen gelehrt hatte. Ihre Mutter, eine begabte Wahrsagerin, die ich zu dem Zeitpunkt nur unter dem mysteriösen Namen »Cold Sandra« kannte, hatte einen Forscher geliebt. An einen Vater konnte sich Merrick nicht erinnern. Auch hatte sie nie eine richtige Schule besucht. »Merrick Mayfair«, sagte ich herzlich und umarmte sie. Sie war groß für ihre vierzehn Jahre, mit herrlich geformten Brüsten, die sich unter dem einfachen, lose fallenden Baumwollkleid abzeichneten. Weiches, dichtes Haar fiel ihr ungebändigt über den Rücken. Jeder, der nicht aus diesem Teil des amerikanischen Südens kam, in dem die Geschichte der Sklaven und ihrer frei geborenen Abkömmlinge von komplizierten Verbindungen und erotischen Romanzen übervoll war, hätte sie für eine spanische Schönheit gehalten. Aber für jemanden aus New Orleans verriet ihre hinreißende milchkaffeefarbene Haut das afrikanische Blut.
    Während ich Sahne in den starken Zichorienkaffee goss, den man mir reichte, sah ich Merrick bewundernd an.
    »Alle aus meiner Familie sind Farbige«, sagte sie mit ihrem damals noch französisch gefärbten Tonfall. »Die, die als Weiße durchgehen können, ziehen in den Norden. Das war schon immer so. Sie wollen nicht, dass die Große Nananne sie besucht. Sie wollen nicht, dass jemand davon erfährt. Mich hält man auch für eine Weiße. Aber sind die Familienbande nicht wichtig? Was ist mit all den Überlieferungen? Ich würde die Große Nananne nie verlassen! Sie hat gesagt, ich soll hierher kommen.« Es haftete ihr das Flair einer jungen Verführerin an, wie sie da in dem wuchtigen Sessel aus ochsenblutrotem Leder saß, ein aufreizendes goldenes Kettchen um den Fußknöchel und ein weiteres mit einem kleinen, diamantenbesetzten Kreuz um dem Hals. »Wollen Sie diese Fotos sehen?«, fragte sie einladend. Ein Schuhkarton, den sie auf dem Schoß hielt, barg die Bilder. »Es ist kein Hexenzauber damit verbunden. Sie können sie gern anschauen.« Sie breitete alles auf dem Tisch aus
    - gestochen scharfe Daguerreotypien auf Glas, und jede steckte in einem zerbröckelnden Kästchen aus Guttapercha, das über und über mit eingeprägten Blumenkränzen oder Weinranken verziert war. Viele dieser Kästchen waren mit einer Schließe versehen und ließen sich wie ein kleines Buch öffnen. »Sie wurden um 1840 herum gemacht«, sagte Merrick, »und es sind lauter Bilder von meiner Familie. Einer von uns hat sie gemacht. Er war berühmt für seine Porträtaufnahmen. Die anderen haben ihn geliebt. Er hat ein paar Geschichten hinterlassen - ich weiß, wo sie verwahrt sind. Sie sind in einer wunderschönen Handschrift geschrieben und liegen in einer Schachtel auf dem Dachboden von Nanannes Haus.« Merrick war auf die Sesselkante vorgerutscht, ihre Knie lugten unter dem knappen Kleidersaum hervor. Ihr Haar warf einen großen Schatten, ihr Haaransatz war klar, die Stirn glatt und schön geformt. Obwohl die Nacht nicht sehr kühl war, brannte ein Feuer im Kamin, und der Raum mit seinen Bücherwänden und den griechischen Büsten war anheimelnd und von Wohlgeruch erfüllt. Aaron hatte Merrick voller
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