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Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Titel: Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
Autoren: Peter Bergmann
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immer noch. Es roch nur ein wenig muffig nach alten Mauern und altem Staub. Marias Kammer. Maria war als ganz junges Mädchen auf das Gut gekommen, als Magd. Sie hatte über 90 Jahre hier gelebt. All die Geschichten, die sie, als halbes Kind noch, gehört hatte, bewahrte sie in ihrem Gedächtnis und erzählte sie immer wieder. Generationen von Kindern hatten aufgrund dieser Geschichten den Keller durchstreift. Erfolglos. Nun stand Chiara vor der zugemauerten Kammer und würde bald erfahren, was sich darin befand. Denn das hatte auch Maria nicht gewusst. Nur, dass es im Keller eine Kammer gab, die seit vielen Jahren, wahrscheinlich Jahrhunderten, ein Geheimnis barg. Doch außer ihr und den Kindern hatte niemand daran geglaubt.
    Plötzlich hörte sie aus der Tiefe der absoluten Dunkelheit ein Geräusch wie fernes Rieseln oder Bröckeln. Nicht aus der Richtung des Eingangs. Aus dem Weinberg heraus. Sie konzentrierte sich ganz auf ihren Hörsinn. Das Geräusch wiederholte sich nicht.
    Minuten später vernahm sie Antonios Schritte, lange bevor sie den Schein seiner Lampe sah. Er verfehlte den Gang, Chiara musste ihn zurück rufen. Dann stellte sie sich abseits und leuchtete ihm. Mehrmals schwang er die Spitzhacke. Der erste Ziegel zerbrach, Teile fielen nach innen.
    „Vorsicht!“, warnte sie. Er legte die Hacke weg und nahm ein Fäustel. Eine Hand schob er durch das entstandene Loch, mit der anderen schlug er stückweise Material ab. Als das Loch groß genug war, richtete er den Strahl seiner Lampe darauf und spähte hinein.
    „Nichts“, sagte er enttäuscht.
    „So siehst du zu wenig“, widersprach Chiara und schob ihn zur Seite.
    Sie hielt ihre Lampe und einen Taschenspiegel durch die Öffnung und prüfte den gesamten Raum, der nur etwas mehr als eineinhalb Meter tief und knapp drei Meter breit war.
    „An der rechten Wand steht eine Truhe.“
    Sie trat wieder zur Seite. Antonio arbeitete schnell. Der Schutthaufen auf dem Boden wuchs an.
    „Das wird reichen“, meinte er schließlich. Ohnehin bedeckt mit Ziegelstaub, kletterte er achtlos durch die Maueröffnung. Chiara zögerte nur kurz, dann stieg auch sie in Marias Kammer. Der kleine Raum enthielt tatsächlich nichts, abgesehen von der Truhe – ein dick verstaubtes, aber schönes Stück aus der Renaissance mit stilisierten Säulen und Bögen. 15. oder 16. Jahrhundert, schätzte Chiara. Etwa einen Meter breit, siebzig Zentimeter hoch und ebenso tief. Antonio starrte sie gebannt an, als wäre das alte Möbel eine quicklebendige Schlange und er die Maus.
    „Ich versteh’s nicht“, murmelte er. „Warum mauert jemand eine Holzkiste ein?“
    „Vielleicht wegen des Inhalts?“
    Chiara trat vor und hob das Siegel an, das die Enden einer schmalen Kordel miteinander verband, die den einfachen Verschluss zusammen hielt. Es zeigte ein stilisiertes Haus mit einem P in der Mitte.
    „Parello“, sagte sie. „Das gleiche Wappen wie über dem Torbogen.“
    Sie drehte das Siegel um. In eng geschriebenen römischen Ziffern war eine Zahl eingeritzt. MDCCXXXVIII. Aus Platzgründen in drei Zeilen.
    „1738. So lange hat das Gerücht überdauert. Hast du etwas zum Schneiden?“
    Antonio reichte ihr sein aufgeklapptes Taschenmesser. Vorsichtig durchtrennte sie die Kordel und steckte sie samt Siegel in ihre Hosentasche.
    „Willst du?“, fragte sie.
    Er schüttelte den Kopf. „Mach auf!“
    Chiara klappte den Verschluss zurück, hob den Deckel und lehnte ihn gegen die Wand. Ein schwacher, grünlicher Schimmer erfüllte den kleinen Raum. Ihr Puls schnellte hoch.

 
    10___
    Wächter, Eintrag 731.430
    Jetzt muss ich, der Wächter in Menschengestalt – ihr erinnert euch? – ein wenig ausführlicher werden. Sonst seid ihr am Ende ganz verwirrt. Konzentriert euch bitte. Ich mache es möglichst kurz.
    Die Entwicklung gesellschaftsbildender, intelligenter Lebensformen folgt erstaunlich gleichmäßigen Mustern. Bis zu einer bestimmten Phase der Ausbildung von Kultur und Wissenschaft gilt eine Art Arbeitsteilung zwischen der intelligenten Spezies und den von ihr verehrten höheren Wesen. Die Vereinbarung hat stets etwas von einem Tauschhandel an sich, es wird mit einem fiktiven Partner – Gott, Teufel, Engel, Dämon – ein Vertrag geschlossen. Etwa mit diesem Inhalt:
    Wir ehren Dich als unseren Schöpfer oder Richter, Beschützer oder sogar Verderber, dafür verleihst Du uns aus Deiner Position heraus etwas Besonderes, Auserwähltes. Denn unsere Mitgeschöpfe, die Tiere und
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