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Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)

Titel: Chiara Fontana - Das Möbiusband (German Edition)
Autoren: Peter Bergmann
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mit den unzähligen Nischen. Dort, wo regungslos und stumm Zehntausende von Flaschen in ihren Holzregalen lagerten. Der sich in ihren Vorstellungen langsam mit dem Weinberg verband und selbst Berg wurde, wo es immer noch dunkle Gänge und Nischen gab, in die jedoch seit Jahren niemand seinen Fuß gesetzt hatte. Auch die Kinder wagten nur kurze Expeditionen in jenes Niemandsland, das ihre Phantasie mit unbekannten und gefährlichen Wesen bevölkerte.
    Antonio öffnete die Tür. Tageslicht sickerte schwach durch dick vergitterte schmale Fenster, eingelassen ganz oben in den Bögen jener Gewölbe, die zur vorderen Front des Hauses wiesen. Tiefer im Keller herrschte schwarze Dunkelheit.
    „Ich habe alles ausräumen lassen“, sagte er. „Es gab so viel Holz drinnen, ein halber Wald. Auch noch Fässer, einige Truhen. Ich hab’ gesagt, sie können alles nehmen, wenn nur der Keller leer ist. Panterrone war zufrieden.“
    „Der aus dem Dorf?“, erinnerte Chiara sich. „Der Dicke?“
    „Ja.“
    „Hast du keine Angst, dass er das Geheimnis mitgenommen hat?“
    „Maria hat von der Kammer gesprochen. Eine Kammer kann man nicht mitnehmen. Außerdem schaute ich ihnen auf die Finger.“
    „Du warst dabei?“, fragte sie, erstaunt über die ungewöhnliche Zielstrebigkeit Antonios. Die, vorsichtig formuliert, so gar nicht seinem Wesen entsprach.
    „Es hätte ihn misstrauisch gemacht, wenn ich nicht hier gewesen wäre. Du hättest ihn sehen sollen. Er schnupperte in den Gängen herum wie ein Jagdhund im Hasenstall. Ganz scharf auf einen verborgenen Schatz – und seien es nur ein paar alte, volle Flaschen in einem vergessenen Regal. Es muss für ihn ziemlich enttäuschend gewesen sein.“
    Sie befanden sich jetzt im Hauptgewölbe, von dem aus drei Gänge strahlenförmig in den Berg ragten.
    „Hast du nach der Kammer gesucht?“, fragte sie.
    „Ich bin nur durchgegangen“, erwiderte er. „Ich habe ein paar Verbindungen entdeckt, die ich nicht kannte, weil sie, seit Gott weiß wann, mit Regalen zugestellt waren. Wahrscheinlich kannte sie nicht einmal Papa. Ich habe einen Plan gemacht.“
    Sein Gesicht schimmerte dunkel im gemischten Zwielicht des Kellers und der Lampen, die sie nach unten gerichtet hielten, um sich nicht gegenseitig zu blenden.
    „Wenn da irgendetwas ist, was auch immer, dann siehst du es, nicht ich. Da bin ich sicher.“
    Chiara zog mit ihrem Lichtkegel die schönen Linien des alten Mauerwerks nach. Sie fand sie noch immer wunderbar. Antonios Vertrauen verpflichtete sie, seine Phantasien ernst zu nehmen. Vielleicht würde ihr Urteil ihm helfen. Auch helfen, zu vergessen. Dieses Kapitel seines Lebens endgültig abzuschließen. Endlich ein neues zu beginnen.
    „Gib mir den Plan“, sagte sie.
    Und ganz gegen ihre Erwartung dauerte die Suche nicht lange. Sie befanden sich in einem der vergessenen Gänge im mittleren Drittel des Kellers, den vielleicht seit Generationen kein Mensch betreten hatte.
    „Schau hierher“, sagte Chiara. Antonio folgte mit seinem Licht der Richtung, die ihres vorgab. Er ließ es mehrmals über die grob verputzte Wand gleiten, dann über den Boden davor.
    „Hier hat ein Regal gestanden.“
    „Ja“, erwiderte sie. „Aber das meine ich nicht. Schau genauer hin. Das Gewölbe.“
    Er folgte den Gewölbekanten, die in der Mauer endeten.
    „Was ist damit?“
    Chiaras Temperament regte sich.
    „Siehst du es nicht? Es ist doch wie abgeschnitten.“
    „Ja“, stimmte er zweifelnd zu. „Wie abgeschnitten.“
    „Diese Mauer schneidet es ab“, erklärte sie ungeduldig. „Das Gewölbe reicht weiter.“
    Sie klopfte mit der Taschenlampe gegen die Wand. Es klang hohl. Für eine Weile verstummte Antonio. Dann überwand er seine innere Erstarrung und presste zwei Wörter hervor: „Marias Kammer!“
    „Möglicherweise Marias Kammer“, bestätigte Chiara. „Vielleicht gibt es sie ja doch.“
    Antonios Augen funkelten. „Sie hat es mir geschworen!“
    „Sie hat sie selbst bloß aus Erzählungen gekannt“, sagte seine Freundin. „Vielleicht hat dein Urahn nur eine lästige Geliebte beseitigt...“
    „Nicht im Weinkeller!“, protestierte Antonio. Im Weinkeller einen Menschen einzumauern wäre hochgradig pietätlos gegenüber dem Wein.
    „Hast du Werkzeug?“, fragte sie.
    „Warte“, sagte er und verschwand. Sie blieb allein zurück. Um die Batterien zu schonen, schaltete sie die Lampe aus und verharrte reglos in der undurchdringlichen Finsternis. Die Belüftung funktionierte
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