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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen
Autoren: Peter Carey
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ich, dass ich ihn in seinen Gefühlen verletzt hatte. »Entschuldigen Sie, falls das beleidigend geklungen haben sollte.«
    »Ist schon in Ordnung. Ich habe dafür gesorgt, dass man Ihnen einen kurzen Krankenurlaub bewilligt. Falls Sie gefragt werden: Man hat bei Ihnen eine Bronchitis festgestellt. Allerdings dachte ich, es läge Ihnen auch daran zu wissen, dass es für Sie hier eine Zukunft gibt. Vielleicht sollten Sie einen Blick auf das Objekt werfen, das Sie erwartet, wenn Sie Ihre Arbeit wieder aufnehmen.«
    Er würde also
nicht
darauf bestehen, dass ich zur Beerdigung ging. Er hätte es tun sollen, vermied es aber. Der Blick seiner Augen änderte sich, und ich merkte ihm an, dass ganz andere Gefühle in ihm aufkamen, wenn er von dem ›Objekt‹ sprach, bei dem es sich, wie ich vermutete, um eine dieser grässlichen Sing-Song-Apparaturen handelte. Connaisseurs wie er waren so. Nicht einmal der Tod eines Kollegen konnte ihnen gänzlich das Vergnügen an einem solchen ›Fund‹ vergällen.
    Was mir nichts ausmachte. Wenn ich wütend war, dann bloß, weil ich nicht zur Beerdigung durfte, denn natürlich war ich viel zu aufgelöst, um auf den Friedhof in Kensal Rise gehen zu können. Warum sollte ich mich auch dazu herablassen, mich zu diesen Leuten zu stellen? Sie kannten ihn doch gar nicht. Sie wussten nicht das Geringste über ihn.
    »Können wir vielleicht ein bisschen später darüber reden?«, fragte ich und wusste, wie grob sich das anhörte. Es tat mir leid. Ich wollte ihn nicht verletzen. Ich sah zu, wie er den Deckel des verstopften Salzstreuers aufschraubte, ein wenig Salz aufhäufelte und sein nacktes Ei hineinstukte. »Natürlich«, sagte er, klang aber leicht verstimmt.
    »Es ist irgendwo ›durchgesickert‹?«, hakte ich behutsam nach.
    Als Gegenleistung für diesen winzigen Interessensbeweis bedachte er mich mit einem ziemlich katzenhaften Lächeln. Mir wurde also vergeben, doch war ich nicht nett.
    Ich malte mir aus, wie der Herzinfarkt Matthews Beine hochgekrochen war, während Eric alte Museumskataloge durchgeforstet hatte. Er hatte einen Schatz gefunden, von dem keiner der übrigen Kuratoren etwas wusste, etwas Verrücktes, Hässliches, über das er nun ein Buch schreiben konnte.
    Ich überlegte, ob das Objekt irgendeine vornehme Person zufriedenstellen sollte oder zum Hobby eines Ministers gehörte, eines Kuratoriumsmitglieds, wonach ich mich bei Eric höflich hätte erkundigen können, nur wollte ich es eigentlich gar nicht wissen. Eine Uhr ist eine Uhr, ein Sing-Song aber kann ein Albtraum sein, falls Glas verwandt wurde, Keramik, Metall oder Stoff. Traf das zu, würde ich mit Konservatoren aus all diesen Disziplinen zusammenarbeiten müssen, bloß konnte ich, wollte ich mit niemandem zusammenarbeiten. Ich würde doch nur weinen und heulen und mich verraten.
    »Tut mir leid«, sagte ich und hoffte, damit all meine Kränkungen abzugelten. Und mein Verhalten musste ihn einfach kränken, so freundlich wie er zu mir war.
    Wir verließen das Café. Davor parkte ein roter, blitzblanker Mini Minor, wenn auch nicht der Mini, den ich kannte, obwohl er genauso aussah, und ich spürte, wie gern Eric über diesen Zufall geredet hätte. Ich konnte aber nicht, wollte nicht. Ich floh über die Straße und betrat das sicherste Museumsgebäude von ganz London.
    Natürlich hatten die Jungs von der Security kein Interesse an Uhrenkunde. Sie hockten lieber auf ihren Harleys und brausten wie wild gewordene Hummeln über die North Circular. Zu meinem Erstaunen wussten sie, wer ich war, und bewiesen ein unerwartetes Feingefühl, was mich ganz krank vor Misstrauen machte.
    »Lassen Sie mich die hier für Sie durchziehen.«
    Noch während wir die erste Sicherheitstür passierten, dachte ich an den Mini, und ich spürte Erics fleischige Hand wenige Zentimeter hinter meinem Rücken schweben. Er wollte mich bloß trösten, aber ich war wie eine Wahnsinnige und fand diese nahe Hand bedrückend, schlimmer, als würde sie mich berühren. Ich schlug danach, aber da war gar keine Hand.
    Im vierten Stock erlaubte man mir, meine Karte selbst durchzuziehen. Wir betraten einen etwas zu kalten, fensterlosen Flur, an der Decke Neonlichter, geflieste Wände, überwiegend weiß. Ich spürte, wie sich mir die Haare im Nacken aufrichteten.
    In meiner Handtasche hatte ich eine halbe Tablette Lorazepam, 0 , 5 mg, konnte sie aber nicht finden, bestimmt lag sie irgendwo in den Saumfusseln versteckt.
    Eric riss eine Tür auf, und wir
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