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Chemie der Tränen

Chemie der Tränen

Titel: Chemie der Tränen
Autoren: Peter Carey
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erwiderte er. »Natürlich, Sie wissen es ja noch gar nicht.«
    Ich konnte ihn nicht ansehen, brachte aber meine Hand vor ihm in Sicherheit, vergrub sie im Schoß.
    »Herzinfarkt, ein heftiger. Tut mir leid. In der U-Bahn.«
    Die U-Bahn. Die ganze Nacht hatte ich die U-Bahn gesehen, ihre dunkle, heiße Brutalität. Ich schnappte mir die Speisekarte, bestellte Bohnen in Tomatensoße mit zwei pochierten Eiern und konnte spüren, wie Eric mich mit seinen sanften, feuchten Augen beobachtete. Sie waren keine Hilfe, nicht die geringste. Resolut räumte ich das Besteck um.
    »In Notting Hill hat man ihn rausgeholt.«
    Ich nahm an, er wollte sagen, es wäre gut, nicht so weit von zu Hause zu sterben. Er tat es nicht, doch konnte ich den Gedanken kaum ertragen, dass man ihn zu ihr gebracht hatte.
    Und sie, diese Verfechterin ehelichen ›Verstehens‹, würde nun die trauernde Witwe spielen. »Die Beerdigung ist in Kensal Green, nicht?« Gleich am Ende der Harrow Road, dachte ich, wie praktisch.
    »Morgen schon.«
    »Nein, Eric. Das ist völlig unmöglich.«
    »Morgen um drei.« Jetzt konnte er mich kaum ansehen. »Ich weiß nicht, was Sie tun wollen.«
    Natürlich, selbstverständlich. Sie würden alle da sein, seine Frau, seine Söhne, die Kollegen. Mich würde man dort auch erwarten, aber ich konnte nicht. Ich würde alles verraten.
    »Niemand wird so rasch beerdigt«, sagte ich. »Sie will was vertuschen.« Ich dachte, sie will ihn unter der Erde haben, fort von mir.
    »Nein, nein, meine Beste, nichts dergleichen. Dazu ist nicht einmal die grässliche Margaret in der Lage.«
    »Haben Sie je versucht, einen Termin für eine Beerdigung zu bekommen? Bis wir meinen Vater begraben konnten, hat es zwei Wochen gedauert.«
    »Es gab eine Stornierung.«
    »Eine was?«
    »Eine Stornierung.«
    Ich weiß nicht, wer zuerst lachte, vielleicht war ich es, denn als ich einmal angefangen hatte, dauerte es ewig, bis ich mich wieder fing. »Es gab eine Stornierung? Jemand hat beschlossen, lieber nicht zu sterben?«
    »Ich weiß nicht, Catherine, vielleicht hat jemand von einem anderen Friedhof ein günstigeres Angebot bekommen, jedenfalls ist die Beerdigung morgen um drei.« Er schob mir über den Tisch ein gefaltetes Blatt Papier zu.
    »Was ist das?«
    »Ein Rezept für Schlaftabletten. Wir kümmern uns um Sie«, sagte er noch einmal.
    »Wir?«
    »Niemand wird etwas erfahren.«
    Still saßen wir da, während mir eine erdrückend große Portion Essen aufgetragen wurde. Eric hatte sich klugerweise nur ein hartgekochtes Ei bestellt.
    Ich sah zu, wie er die Schale aufklopfte, abpellte und eine weiche, glänzende Membran bloßlegte.
    »Was passiert mit seinen E-Mails?«, fragte ich, denn daran hatte ich auch die ganze Nacht gedacht. Unser gemeinsames Leben lag gespeichert auf dem Swinburne-Server in einem fensterlosen Gebäude in Shepherd’s Bush.
    »Abgestürzt«, sagte er.
    »Abgestürzt? Oder gelöscht?«
    »Nein, das ganze Museumssystem ist abgestürzt. Hitzewelle. Klimaanlage hat versagt, heißt es.«
    »Also sind sie nicht gelöscht?«
    »Hören Sie zu, Cat.«
    Ich dachte, Cat ist nichts, was im Öffentlichen leben kann. Es ist ein zartes, nacktes, kleines Ding, ganz wund und voller Schmerz. Bitte, nenn mich nicht Cat.
    »Sagen Sie bloß nicht, Sie haben sich an Ihre offiziellen E-Mail-Adressen geschrieben.«
    »Doch, haben wir, und ich lass nicht zu, dass Fremde unsere Post lesen.«
    »Man wird sich drum kümmern«, sagte er.
    »Woher wollen Sie das wissen?«
    Diese Frage schien ihn zu beleidigen, und er verfiel in den Ton des Vorgesetzten. »Erinnern Sie sich an den Skandal mit Derek Peabody und den Papieren, die er an Yale verkaufen wollte? Als er zurückkam, um sein Büro auszuräumen, waren die Mails schon gelöscht. Aus und vorbei.«
    Ich hatte gar nicht gewusst, dass es wegen Peabody einen Skandal gegeben hatte. »Und seine Mails wurden unwiderruflich gelöscht?«
    »Natürlich«, sagte er, ohne zu blinzeln.
    »Ich will, dass niemand Zugang zu diesen Mails bekommt, Eric, die IT nicht, Sie nicht, seine Frau nicht, niemand.«
    »Na schön, Catherine, dann versichere ich hiermit, dass Ihnen Ihr Wunsch bereits gewährt wurde.«
    Ich hielt ihn für einen Lügner. Er hielt mich für eine Zicke.
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Wer weiß noch Bescheid?«
    »Über Sie und Matthew?« Er zögerte, als überlegte er zwischen verschiedenen Antworten. »Niemand.«
    »Es überrascht mich, dass überhaupt
jemand
Bescheid weiß.« Aber dann sah
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