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Charlie + Leo

Charlie + Leo

Titel: Charlie + Leo
Autoren: Jochen Till
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und entfernt sich ein paar Schritte von Lazlo, der erleichtert aufatmet. »Sehen Sie nicht, wie ich mich jetzt schon die ganze Zeit kaputtlache?«
    »Allerdings«, sagt Schubert. »Ich habe selten so ein sonniges Gemüt wie dich kennengelernt. Können wir dann jetzt vielleicht endlich weitermachen? Wo möchtest du denn gern sitzen?«
    »An der Alster«, brummt Leo.
    »Tut mir leid, da ist gerade kein Platz frei«, stöhnt Schubert. »Am besten du setzt dich einfach erst mal da hinten neben Marie.«
    Oha. Ausgerechnet Marie. Das überlebt sie nicht. Marie, meine ich. Marie hat nämlich vor allem Angst. Wirklich vor allem. Vor der Umwelt, vor Nahrungsmitteln jeglicher Art, vor Tieren in jeder Größe und Insekten ganz besonders, vor Klassenarbeiten, davor, dass ihr Kugelschreiber bei Klassenarbeiten nicht mehr schreibt (darum hat sie immer zwölf Reservekugelschreiber einstecken), vor Leuten, die zu laut reden oder zu leise (das findet sie unheimlich), vor neuen Schulbüchern (die Gefahr, sich an den Seiten zu schneiden, ist höher), vor alten Schulbüchern (wer weiß, wer da so alles seine Bakterien reingehustet hat), vor ansteckenden Krankheiten natürlich und vor Menschen allgemein. Ihr Leben besteht aus einer endlosen Anzahl von Panikattacken, die sie allerdings erstaunlich gut im Griff hat. Sobald ihr irgendetwas Angst einjag t – was ungefähr drei- bis fünfmal am Vormittag passier t – zieht sie eine große braune Papiertüte aus ihrer Tasche, atmet eine Minute lang hektisch hinein und danach ist wieder alles in Ordnung. Ich fürchte allerdings, ihr Verschleiß an Papiertüten könnte rasant ansteigen, wenn der Tod von jetzt an ihr Sitznachbar sein wird.

    Verdammt, wieso ist neben mir bloß kein Platz frei! Leo schlurft langsam und lustlos nach hinten. Sie muss an mir vorbei. Ob ich vielleicht irgendwas zu ihr sagen sollte? Irgendetwas Aufmunterndes, damit sie nicht denkt, es gibt nur Arschlöcher hier in der Klasse? Irgendetwas, damit sie auf mich aufmerksam wird? Gleich ist es so weit. Noch vier Schritte, dann ist sie genau neben mir. Okay. Wenn sie mich anguckt, dann sage ich etwas. Dann sage ic h … Mist, mir fällt nichts ein! Noch zwei Schritte. Guckt sie mich an? Scheiße, keine Ahnung. Ich bin viel zu nervös, um zu gucken, ob sie mich anguckt. Mist, jetzt ist sie vorbei. Aber wahrscheinlich hat sie mich sowieso nicht angeguckt. Warum sollte sie auch? Ich bin schließlich ein Charlie Brown und einen Charlie Brown guckt nie jemand a n – schon gar nicht das schönste, schlechtgelaunteste Mädchen der Welt. Seufz.
    Ich muss es unbedingt schaffen, dieses Mädchen kennenzulernen. Alles andere ist unwichtig. Als sie ihre Kapuze abgezogen hat, das war so, als hätte sie kurz den Stecker aus meinem Herz gezogen und gleich wieder reingesteckt, und seitdem schlägt es anders, in ihrem Rhythmus, wie sie es will, und sie kann es jederzeit anhalten oder schneller schlagen lassen.
    Ich weiß, das klingt seltsam. Dass man sich einfach so Hals über Kopf verliebt. In ein Mädchen, das man nicht mal kennt, mit dem man noch nicht mal ein Wort gewechselt hat. Erklären kann ich es auch nicht. Ich weiß nur, dass es passiert ist. Ich habe mich unsterblich in den Tod verliebt. Nein, Blödsinn. Ich habe mich unsterblich in ein rothaariges Mädche n … Oh, verdammt! Charlie Brown. Rothaariges Mädchen. Charlie Brown ist auch in ein rothaariges Mädchen verliebt und er schafft es nie, es anzusprechen, und irgendwann zieht es dann weg oder so und er sieht es nie wieder. Scheiße. Wenn das mal kein schlechtes Omen ist.
    Nein, ist es nicht! Ich bin nämlich nicht Charlie Brown! Ich bin Charlie Braun! Und ich werde es nicht nur schaffen, sie kennenzulernen, ich werde sie sogar dazu bringen, mich zu küssen! Jawohl! Und dann heiraten wir auf dem Mond! Und ich werde der berühmteste Comiczeichner des Universums! Und Präsident der Vereinigten Staaten von Träumweiter. Nein, im Ernst, wem mache ich hier etwas vor? Ich bin und bleibe ein Loser und meine Chancen, jemals von Leo geküsst zu werden, sind unterirdisch.
    »So, das war euer Stundenplan für Freitag«, sagt Schubert.
    Was, wir sind schon bei Freitag? Ich habe überhaupt nichts mitgekriegt. Auch egal. Ich werde sowieso immer Leo hinterherlaufen, dafür brauche ich keinen Stundenplan.
    »Kommen wir zum Samstag«, fährt Schubert fort. »Erst e …«
    Ein Aufschrei des Entsetzens geht durch die Klasse. Schubert fängt laut an zu lachen.
    »Na, seid ihr jetzt endlich
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