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Champagner-Fonds

Champagner-Fonds

Titel: Champagner-Fonds
Autoren: P Grote
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unterwegs gewesen, wenn er sich an die Debatten in ihrer Marburger Zeit erinnerte. Und auf dem Flohmarkt vom Steinweg waren tatsächlich noch Flöhe angeboten worden. Auch damals hatte es die Streber gegeben, die neben dem Studium im Steuerbüro gearbeitet hatten, nicht weil sie es nötig gehabthatten, nein. Die Karriere war ihnen bereits in die Wiege gelegt worden, und Papa hatte geholfen, Mama dagegen hatte Kunstgeschichte studiert   ...
    »Tempora mutantur«, murmelte Philipp, »die Zeiten werden geändert, sie ändern sich nicht.« Er hätte mit Thomas keinesfalls tauschen mögen, nicht heute jung sein, nicht auf einen Bachelor oder Master in überfüllten Hörsälen studieren wollen, schmalspurig und unter ständigem Druck, und das ohne Aussichten auf den gut bezahlten Arbeitsplatz. Aber seine Zustimmung wollte Philipp nicht so offen zeigen und schaute wieder ins Glas und beobachtete das Aufsteigen der Kohlensäure. Es gab kein anderes Getränk, bei dem es so kurzweilig war, ihm zuzusehen. Dann kam beim Probieren die Sensation der feinen Perlung im Mund, das Phänomen der Schaumbildung,
l’e ff ervescence
, wie es auf Französisch so schön hieß. Dieser Champagner hier, der von Brugnon, war eher männlich als weiblich, kräftig und herb, auch ausreichend lange gelagert, denn die Säure war milder geworden, und der Geschmack blieb lange im Mund.
    »Bleibst du zum Essen?«
    Wie immer spielte Thomas mit der Agraffe, dem Drahtverschluss, der den Korken in der Flasche hielt. Es waren vier kurze, kunstvoll ineinander verdrehte Drahtenden, jedes knapp zwanzig Zentimeter lang.
    »Was gibt’s heute? Wieder Gemüse oder einen Risotto? Wieder kein Fleisch? Eigentlich wollte ich noch weg.« Er betrachtete die kleine Kappe aus Weißblech, die verhinderte, dass der Draht in den Korken schnitt. »Die sind alle anders gestaltet, auf diesem Deckelchen sind drei Männer im Weinberg, sieht aus wie ein Foto aus den Zwanzigerjahren. Was man nicht alles tut, um sich von anderen zu unterscheiden.« Er gab Philipp die Kappe.
    Als dieser nachschenken wollte, hielt Thomas die Hand übers Glas. »Mehr als eins ist nicht drin. Die Kohlensäuretreibt einem den Alkohol immer so schnell ins Gehirn, und ich will noch los.«
    »Was ist angesagt?«, fragte Philipp
    »Die Ärzte treten im Palladium auf.«
    »Hast du dich etwa in Köln eingelebt? Den Akzent kriegst du bereits ganz gut hin.«
    »Allerdings, ganz im Gegensatz zu dir.« Thomas wusste, dass es seinem Vater nicht gefiel. »Alte Männer können sich angeblich nicht mehr umstellen, total unflexibel, meint Susanne.«
    »Fährt die auch mit?«
    »Ja, und kann ich deinen Wagen haben? Bei meinem ziehen die Bremsen ungleichmäßig, und Alex, der ihn sonst immer repariert, ist krank.«
    »Also wirst du nicht mit mir essen?«
    »Du kochst doch auch für dich allein.« Thomas sah auf die Uhr. »Oh, Schei   ... ich muss los, bin viel zu spät. Lass es dir schmecken.«
    Zehn Minuten später hörte Philipp das Tor der Garage zufallen und kurz darauf den Wagen anfahren. Dann herrschte Ruhe im Viertel, mehr als Philipp heute lieb war.
    Totenstille war für Lövenich am frühen Sonntagabend eher der richtige Begriff. Weder lärmten Rasenmäher, noch klappten die Autotüren, der Sonntagsbesuch war längst wieder abgefahren, Vater sah die Sportschau, Mutter stand in der Küche, und die Kinder saßen vor dem Killerspiel. Es war so still, dass der Wind das Rauschen von der nahen B 1 herübertrug.
    Gleich nachdem sie nach Köln gezogen waren, hatte Philipp das große Einfamilienhaus gekauft. Er hatte sich für diese Gegend entschieden, da es nicht besonders weit zum Industriegebiet Marsdorf war, wo er bei France-Import als Einkäufer arbeitete. Einer der Gründe für den Hauskauf war der große Garten gewesen, und mit der S-Bahn waren esnur zwei Stationen bis zum Dom. Den Wagen nutzte er nur für Geschäftsreisen, Fahrten ins Theater oder für Ausflüge wie heute. Ins Geschäft fuhr er mit dem Rad. Er mochte die Stille des Viertels, aber nach einem Tag wie heute, besonders wenn Thomas abends fortging, beschlich ihn ein Gefühl von Einsamkeit. An einem stillen Abend wie diesem fragte er sich ernsthaft, ob er noch mal einer Frau begegnen würde, mit der er gern zusammenleben würde. Allein sie zu treffen war fraglich, denn sein soziales Leben fand im Ausland statt, wenn er Frankreichs Weinbaugebiete nach neuen Winzern und guten Weinen abgraste. Im italienischen Veneto gab es eine Gutsbesitzerin, bei der
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