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Champagner-Fonds

Champagner-Fonds

Titel: Champagner-Fonds
Autoren: P Grote
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gekühlt wird es im Sektkühler mit Wasser und Eis, eine Serviette über den Flaschenhals gelegt   ...«
    »Ich habe nicht vor, Sommelier zu werden«, sagte Thomas und trat ins Haus, »höchstens Winzer.«
    Die letzten beiden Worte hatte Philipp zwar gehört, aber sie waren nicht bei ihm angekommen, schon gar nicht ihre Bedeutung. Der Millésime 2004 war von einem klaren Sonnengelb mit einem leichten Stich ins Grünliche. Oder schimmerte das Tischtuch durch? Um die Farbe genau zu beurteilen, hielt Philipp das Glas normalerweise vor ein weißes Blatt Papier. Aber heute wollte er trinken und nicht beurteilen, obwohl ihm das zur zweiten Natur geworden war. Unweigerlich lief bei ihm ein inneres Programm ab: sehen, riechen, schmecken, bewerten und sich fragen, ob dieser Champagner von Marc Brugnon aus Écueil ins France-Import-Angebot passte.
    Der Firmengründer war längst nicht mehr am Ruder, die Söhne, Alain und Philippe hatten den Betrieb übernommen.Die Weitergabe der Kellerei an die Kinder erfüllte Philipp immer mit einer gewissen Befriedigung, und er rechnete es den jungen Nachfolgern hoch an, dass sie nicht an die Global Player wie Moët & Chandon oder Veuve Clicquot verkauften und die Welt noch unpersönlicher machten. Bei Brugnons achtzehn Hektar wäre das ein fantastisches Geschäft gewesen, denn ein Hektar Weinland in der Champagne kostete inzwischen bis zu 1,2   Millionen Euro, je nachdem, ob es eine normale Lage war oder ob sie als Grand Cru oder Premier Cru eingestuft war. Hätten sie verkauft, hätten sie und ihre Familien in ihrem Leben nie wieder arbeiten müssen. Aber was hätten sie stattdessen tun sollen? Also machten sie Champagner, fürchteten die späten Fröste des Frühjahrs und quälten sich durch die Unsicherheiten des Sommers. Sie probierten, bis die richtige Cuvée zustande kam, und suchten Kunden zwischen Argentinien und Zypern.
    Ein Hauch von Pampelmuse kam Philipp aus dem Glas entgegen, grüner Apfel und etwas Hefe. Es waren Aromen eines Champagners, der zu drei Vierteln aus Chardonnay gekeltert war. Die Rebsorten Pinot noir und Pinot meunier bildeten die restlichen 25   Prozent der Cuvée. Andere Rebsorten durfte der Champagner sowieso nicht enthalten. Philipp erinnerte sich nicht daran, wie der Jahrgang 2002 gewesen war, sicher anders als der von 2003, einer der heißesten Sommer in der Geschichte der Champagne – wenn nicht in ganz Europa. Den vergaß kein Winzer. Es war vielleicht ein Vorgeschmack dessen, was im Verlauf des Klimawandels auf sie zukommen würde. Und dann trug dieser Champagner eine mineralische Note. Woher sie kam, lag Philipp geradezu bildlich auf der Zunge   ...
    »Kalk, oder vielmehr Kreide, nicht wahr?«, fragte Thomas, obwohl er es wusste, und äffte dabei das Gesicht seines Vaters nach. »Der Duft erinnert mich an Schule.«
    »Stimmt, es ist Kreide. Champagnertrauben wachsen direktauf massiver Kreide, da liegt vielleicht ein halber Meter Humus oder Verwitterungsboden drüber, aber sonst ist es Kreide, entweder fest oder als Granulat. Wir sollten mal zusammen hinfahren.«
    »Da lag ich ziemlich richtig. Vielleicht sollte ich deinen Job machen, wenn du dich pensionieren lässt.«
    »Und was machst du in den fünfzehn Jahren, bis es so weit ist?«
    »Nach dem Examen spiele ich Investmentberater und mache Geld. Das tun einige Kommilitonen bereits heute. Du glaubst es nicht, aber die zocken sogar zwischen den Vorlesungen mit dem bisschen Kohle, das sie haben, die geben irgendwelche Kauf- oder Verkaufsaufträge, zum Teil mitten in der Vorlesung per Handy, voll bekloppt, dann hasten sie vor die Tür, damit niemand mithört, und ihre Clique rätselt, ob sie jetzt den absoluten Geheimtipp gekriegt haben. Wenn die Kurse für Rüstungsaktien um fünf Prozent steigen oder die von irgendeinem Chemiemulti, dann blasen die sich auf wie die Ochsenfrösche. Ein Wunder, dass sie am nächsten Tag wieder in der Uni erscheinen. Die halten sich heute schon für klüger als unsere Profs.«
    Es entstand eine Pause, in der Philipp sich an sein BW L-Studium an der Philipps-Universität erinnerte, Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger. Ob er, Philipp, der Besitzer der Uni sei, damit hatten sie ihn aufgezogen, es war der Running Gag seines Studiums gewesen. Sein Examen war in den Beginn der Ära Kohl gefallen, und damit hatte das begonnen, was ihm wie ein Abstieg in Dummheit und Gleichgültigkeit vorgekommen war. Davor hatten andere Zeiten geherrscht, andere Menschen waren
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