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Carlotta steigt ein

Carlotta steigt ein

Titel: Carlotta steigt ein
Autoren: Linda Barnes
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Trainingshosen
anhat und den Mund halbvoll mit einem Schweizer-Käse-und-Roastbeef-Brot. Ich
wartete, in der Hoffnung auf dreimaliges Klingeln. Dreimal ist für Roz, die
Mieterin vom oberen Stock.
    Es klingelte nur zweimal.
    «Augenblick bitte!» schrie ich
und schluckte schneller.
    Es klingelte wieder, zweimal
schnell hintereinander.
    Nicht, daß ich weit zu laufen
hätte vom Eßzimmer bis zur Diele. Nur habe ich etwa fünf Schlösser an meiner
lausigen Etagentür. Statt über Baseball redet man in meiner Nachbarschaft fast
nur noch über Einbruchsdiebstähle.
    Kurz nach zwölf, ein Sonntag
Ende September, etwas zu kühl für die Jahreszeit, und ich erwartete niemanden.
Ich kniff mein linkes Auge zu und preßte mein rechtes an das Guckloch. Wenn ich
jemanden erwartet hätte, dann bestimmt nicht die gemütliche alte Dame, die sich
auf meiner Frontveranda niedergelassen hatte wie ein kecker Vogel. Als ich noch
mit dem letzten Sicherheitsbolzen kämpfte, der immer klemmte, schlug sie den
Kragen ihres flauschigen rosa Mantels hoch und schickte sich an, erneut auf den
Klingelknopf zu drücken. Sie trug weiße Baumwollhandschuhe. Ich habe seit einer
Ewigkeit kein Paar weiße Handschuhe mehr gesehen.
    «Komme schon», rief ich, um dem
Klingeln zuvorzukommen.
    Sie war zu alt für eine
Mormonen-Missionarin, und so machte ich mich auf den Sermon einer Zeugin
Jehovas gefaßt. Vielleicht auch eine Gegnerin der Vivisektion. Hoffentlich war
sie gegen die Vivisektion. Ob sie wohl das Gesicht verziehen würde, wenn ich
sie fragte, wo ich meinen Sittich zu Forschungszwecken abliefern könnte?
    Sie hatte dünne weiße Haare,
als sei ihr rosa Schädel mit Puderzucker bestreut, und ein rundes Gesicht, das
sicher freundlich wirkte, wenn sie lächelte. Ihre Haut war kreuz und quer von
feinen Linien gezeichnet. Tiefe Furchen zerknitterten ihre Stirn und zogen
scharfe Linien von ihrer breiten Nase zu ihrem kleinen ängstlichen Mund herab.
Ihre grauen Augen starrten mit beunruhigend festem Blick ernst auf das
Guckloch.
    Das Schloß gab endlich nach,
und ich riß mit einer Entschuldigung die Gittertür auf. Sie gab sich nicht so,
als sei sie auf Bekehrung oder Spenden aus.
    «Margaret Devens», machte sie
sich erwartungsvoll bekannt. «Miss», fügte sie hinzu, «Miss Margaret Devens,
Jungfer.»
    Ich lächelte über den kurz in
ihren Augen aufblitzenden Humor, über das altmodische Wort, über die sauberen
weißen Handschuhe, doch der Name sagte mir nichts. Sie verzog ihr Mündchen zu
einem breiten Lächeln und nickte, als müßte er das aber.
    «Und Sie», fuhr sie mit einem
rasch abschätzenden netten Blick fort, in dem eine Spur von Unglauben lag,
«sind Miss Carlyle, die Privatdetektivin?»
    Zugegeben, ich habe schon
besser ausgesehen. Meine Hosen hatten ihre Glanzzeit längst hinter sich, und
ein Riß ließ fast mein ganzes rechtes Knie frei. Meine obere Hälfte, ein
übergroßer knallroter Pullover, ging gerade noch. Ich trage ihn nicht so oft,
weil er, offen gestanden, nicht gut zu meinen Farben paßt. Ich habe nämlich
rotes Haar, wirklich rotes Haar von der Art, für die Worte wie «flammendrot»
kaum ausreichen, und Mam hatte mir immer geraten, Blau und Grün zu tragen, aber
ab und zu ging es eben mit mir durch. Was meine übrige Person anbetrifft, war
ich barfuß und hatte noch keinen Gedanken an Make-up verschwendet. Ich laufe
viel barfuß herum, weil ich 1,85 groß bin und Schuhgröße 43 habe. Es ist Ihnen
vielleicht entgangen, daß Damenschuhe praktisch mit Größe 42 aufhören. Einen
Großteil meines Lebens verbringe ich mit der Suche nach Schuhen. Ich hoffte
nur, mein Haar gebürstet zu haben, statt es einfach auf meinem Kopf
zusammenzuraffen und mit Haarnadeln festzustecken.
    Womöglich hatte ich das. Na ja,
ich erinnere mich auch nicht immer daran, ob ich mir morgens die Zähne geputzt
habe, tu’s aber. Mit gebändigtem Haar sehe ich fast so alt aus, wie ich bin, um
die Dreißig, aber auf der anderen Seite, als die meisten Leute sonst glauben.
    «Für die Arbeit vereinbare ich
normalerweise Termine», sagte ich, nicht so sehr in der Absicht, sie
abzuschrecken, sondern um meine äußere Erscheinung zu entschuldigen.
    «Es ist keine normale
Angelegenheit.» Ihre Stimme war weich und zittrig, mit einem kaum merkbaren
Akzent.
    Bei dem geringen Arbeitsanfall,
daß ich sogar die Katzenpost las, mußte ich wohl für jede «Angelegenheit»
dankbar sein, also bat ich sie herein und hängte ihren Mantel an den
Garderobenständer in
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