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Canard Saigon (German Edition)

Canard Saigon (German Edition)

Titel: Canard Saigon (German Edition)
Autoren: Harald Friesenhahn
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Sie begann bitterlich zu weinen. Einige schier endlose Minuten standen sie so aneinandergepresst, ohne ein Wort zu wechseln. Auch Karl weinte lautlos. Während er seine Mutter an sich drückte, entluden sich deren körperliche und seelische Schmerzen in einem heftigen Weinkrampf. Karl zwang sich zu Ruhe und Besonnenheit. Langsam begann sein Verstand zu arbeiten. Mit einer schnellen Handbewegung wischte er sich die Tränen aus dem Gesicht, streichelte sanft über die zersausten Haare seiner Mutter.
    „Mama, du musst dir etwas anziehen, du erfrierst mir ja sonst“, sagte er eindringlich. Frieda nickte mehrmals, und Karl merkte, dass sie um ihre Fassung rang.
    „Ja, Karl, ich muss mir etwas anziehen“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme und nickte heftig. Frieda versuchte stark zu sein, aber es fiel ihr verdammt schwer.
    Karl geleitete sie behutsam ins Schlafzimmer und ließ sie erst vor dem Kleiderschrank los. Er drehte sich um und kehrte ihr den Rücken zu, um ihr weitere Scham zu ersparen.
    „Zieh dich in Ruhe an, Mama, ich warte hier auf dich.“
    Während sich Frieda wortlos ankleidete, beruhigte sie sich. Sie konnte im nächtlichen Dunkel kaum etwas sehen, aber sie wusste genau, wo ihre Kleidung zu finden war. Anfangs zitterte sie stark, aber je mehr Kleidungsstücke sie anzog, desto ruhiger wurde sie.
    „Karl, ich bin fertig“, sagte sie mit leicht bebender, aber fester Stimme und erhobenen Hauptes.
    „Mama, geht es dir wirklich gut?“, fragte Karl besorgt, während sie gemeinsam ins Wohnzimmer gingen, wo sie einander im Licht des Kerzenscheins ansehen konnten. „Was ist mit deinem Gesicht?“
    Frieda Wagner hatte sich wieder unter Kontrolle.
    „Er hat mich zweimal geschlagen, aber das ist nicht so schlimm, das wird wieder“, sagte sie mit einem versuchten Lächeln. „Es schmerzt ein wenig. Wahrscheinlich wird es ein blaues Auge.“ Im nächsten Moment fiel ihr wieder ihr Peiniger ein.
    „Was ...? Was machen wir jetzt? Wenn die ihn hier finden, erschießen sie uns. Wir ..., wir sind tot, Karl. Die erschießen uns. Wir sind tot. Sollen wir zu den Amerikanern flüchten und ihnen das hier erklären, oder ..., oder sollen wir ...?“
    „Mama!“, sagte Karl mit fester Stimme und unterbrach den fast hysterischen Redeschwall seiner Mutter. „Mama, ich lass mir etwas einfallen. Mir wird schon etwas einfallen. Ich muss nur ein wenig nachdenken. Ich finde schon eine Lösung. Wirst sehen, wir schaffen das schon.“
    Frieda sah ihm in die Augen, und angesichts seiner Zuversicht schwand ihre Verzweiflung ein wenig.
    „Mama, was war hier los? Warum bist du überhaupt hier? Warum bist du nicht in unserem Versteck?“
    „Ach, Karl! Ich habe einen Blödsinn gemacht. Das war ganz allein meine Schuld. Ich habe uns in diese schreckliche Situation gebracht. Wir sind wie immer zum Versteck gegangen, aber die kleine Elisabeth ist krank und hat hohes Fieber. Ich wollte ihr nur schnell eine warme Decke holen. Du warst leider noch nicht da, und ich habe auch lange überlegt, ob ich es wagen soll. Dann dachte ich mir, es wird schon nichts passieren, wenn ich vorsichtig bin. Ich bin ganz leise die Treppen hinuntergegangen und habe die Wohnung aufgesperrt. Ich habe die Tür offen gelassen, da ich ja sofort wieder weg wollte. Dann habe ich die Kerze angezündet und dann ...“ Frieda stockte und schluckte heftig. „Dann ..., dann war er plötzlich hinter mir. Er muss sich am Gang herumgetrieben haben, jedenfalls habe ich ihn vorher nicht bemerkt.“ Frieda zitterte wieder, ihre Stimme bebte. „Er muss ziemlich betrunken gewesen sein, denn er stank widerlich nach Russenwodka.“ Sie verzog ihr Gesicht voller Abscheu. „Er packte mich von hinten und rief immerzu so etwas wie ‚gut Kurva‘ oder so ähnlich. Als ich mich befreien wollte, hat er mich zweimal ins Gesicht geschlagen und ... und mir dann die Kleider vom Leib gerissen.“ Frieda liefen wieder Tränen über die Wangen. „Ich hatte keine Chance, Karl, der war so stark. Ich hatte wirklich keine Chance. Ich hätte einfach besser aufpassen müssen. Ich mache mir solche Vorwürfe.“ Sie umarmte Karl.
    „Ich wollte das nicht, Karl, bitte glaub mir. Ich wollte uns nicht in eine solche Situation bringen. Bitte verzeih mir, Karl.“
    „Mama, hör auf!“, unterbrach Karl abrupt ihre Selbstvorwürfe. Er löste sich aus ihrer Umarmung und hob zärtlich ihren gesenkten Kopf. „Sieh mich an, Mama. Sieh mich an. Ein für alle Mal, du bist schuldlos. Er und nur er ist
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