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Canard Saigon (German Edition)

Canard Saigon (German Edition)

Titel: Canard Saigon (German Edition)
Autoren: Harald Friesenhahn
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Lichtschein, der sich auf den Fliesen im Flur spiegelte. Er wusste nicht, ob ihm seine Sinne einen Streich spielten, aber er glaubte, ein leises Jammern vernommen zu haben. Da war etwas in seiner Wohnung, das dort nicht hingehörte.
    Wie in Trance bewegte sich Karl Wagner Richtung Tür. Er glitt blitzschnell hinein, bewegte sich seitlich nach rechts und erstarrte. Diesen Anblick würde er sein Leben lang nicht vergessen.
    Vom spärlichen Licht einer Kerze erleuchtet, spielte sich im Wohnzimmer ein unfassbares Drama ab. Seine Mutter lag mit nackter Brust und verzerrtem, geschwollenem Gesicht rücklings auf dem Wohnzimmertisch. Ihre Kleidung war in Fetzen gerissen. Sie wimmerte. Zwischen ihren bleichen, kraftlos baumelnden Beinen stand ein grobschlächtiger uniformierter Kerl. Er presste sie mit beiden Händen hart gegen die Tischplatte. Und er vergewaltigte sie mit mächtigen Stößen. Karl blickte in diesem schrecklichen Moment der Erstarrung in die glasigen, mit Tränen gefüllten Augen seiner geliebten Mutter. Und die leibhaftige Brutalität offenbarte sich ihm in Gestalt eines russischen Soldaten in voller Montur. Mit offenem Wintermantel, das unrasierte Gesicht zu einer Fratze verzerrt, rammte er der gepeinigten Frau unbarmherzig seine Männlichkeit in den Leib.
    „Du Drecksau!“, brüllte Karl Wagner und gleichzeitig löste sich die Schockstarre seines Körpers. Während er vorwärts schnellte, fiel das Pferdefleisch mit einem dumpfen Geräusch auf den Boden. Mit zwei Sprüngen erreichte er den Küchentisch, riss die Lade auf und schnappte nach einem Messer. Der Russe ließ von Frieda Wagner ab und drehte sich in Karls Richtung. Sein mächtiger Schwanz ragte wie ein Stachel aus dem Hosenschlitz, bedrohlich, bizarr, als wolle er Karl damit aufspießen. Stolpernd und fluchend bewegte er sich zur Wohnzimmertür, um seinen dort angelehnten Mosin-Nagant-Karabiner zu ergreifen.
    Karl durchschaute die Absicht des Russen. Er reagierte blitzschnell. Im selben Moment, als der Soldat nach dem Gewehr griff, sprang Karl ihn an. Mit einem wuchtigen Hieb jagte er ihm das Messer durch den dicken Wintermantel hindurch in den Leib. Der Stich war so heftig, dass die Spitze des Messers brach. Der Rotarmist taumelte in gebückter Haltung noch zwei Schritte in die Mitte der Küche und krachte dann wuchtig mit dem Kopf gegen den Herd. Ächzend fiel er mit dem Gesicht auf den Boden und rührte sich nicht mehr. Karl stand breitbeinig, schwer atmend, in Lauerstellung über dem gefallenen Unhold. Aber der gab kein Lebenszeichen von sich. Unter dem Körper des Russen vergrößerte sich rasch eine Blutlache, die in dem trüben Licht wie zähflüssiges schwarzes Öl aussah. Karl stieß einige Male mit dem Fuß gegen Rücken und Kopf des Soldaten, aber der bewegte sich nicht. Langsam wurde ihm klar, dass der Russe tot war.
    „Du Schwein“, flüsterte Karl resignierend. Die Spannung wich aus seinem Körper, achtlos ließ er das Messer fallen. Er schloss kurz seine Augen und kostete den Augenblick der inneren Leere aus. Soeben hatte er einen Menschen getötet. Ohne die Tragweite seines Kampfes zu begreifen, holte ihn im nächsten Moment die panische Sorge um seine Mutter in die Realität zurück. Ruckartig drehte sich Karl um und stockte erneut.
    Frieda Wagner hatte sich aufgerichtet. Sie presste die zerrissene Kleidung fest an ihren geschundenen Körper, um notdürftig ihre Blößen zu bedecken. Frieda stand vor dem Wohnzimmertisch, das geschwollene Gesicht gesenkt, ihr Körper bebte. Sie schluchzte leise, Tränen liefen über ihre Wangen.
    „Mama! Mama!“, rief Karl, während er mit fürsorglich ausgestreckten Armen auf sie zueilte. „Ist dir etwas passiert? Bist du verletzt?“ Er wollte sie umarmen, aber sie wich einen Schritt zurück.
    „Karl, mein lieber Karl“, hauchte sie mit erstickter Stimme. „Du solltest mich nicht so sehen, mir fehlt nichts.“
    Karl nahm sie in den Arm und drückte sie behutsam an sich.
    „Was ..., was ist mit ..., mit ... ihm?“, stammelte Frieda verstört.
    „Der Hurenhund ist tot“, sagte er. „Ich habe ihn abgestochen wie eine Sau, Mama“, sprudelten die für Karl unüblichen Kraftausdrücke aus ihm heraus.
    Frieda wollte sich aus seinen Armen lösen.
    „Ich ..., ich muss mich waschen. Karl, ich bin so schmutzig, ich ..., ich muss mich waschen.“
    „Mama, sei ganz ruhig, beruhige dich, ich bin ja da“, flüsterte Karl seiner Mutter zu und hielt sie fest.
    Frieda widersetzte sich nicht mehr.
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