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Canale Mortale (German Edition)

Canale Mortale (German Edition)

Titel: Canale Mortale (German Edition)
Autoren: Heidi Schumacher
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vorderen Kante
ihres Sessels saß. Sie machte Konversation, schien aber innerlich abwesend zu
sein.
    Mitten in Florians Erläuterungen über die »Kunst der Fuge« stellte
sie plötzlich ihre Tasse ab und unterbrach ihn.
    »Sie müssen beide müde sein und möchten sich jetzt vielleicht
zurückziehen?«
    Antonia und Florian bedankten sich für die Einladung und wollten
nach oben gehen, als Octavia aufstand und sie nach draußen begleitete. Sie
wirkte nervös, und die Falten, die sich von der Nase bis zu ihren Mundwinkeln
eingegraben hatten, traten im bleichen Licht des marmornen Treppenhauses stärker
hervor. Ihre Augen nahmen einen flehenden Ausdruck an, und sie sprach leise,
damit man sie im Speisezimmer nicht verstehen konnte.
    »Antonia, könnte ich Sie morgen unter vier Augen sprechen? Es ist
wichtig.«
    »Aber natürlich, Frau Bayer, sehr gerne.«
    Aus der Wohnung hörte man die Stimmen von Jana und Ugo näher kommen.
Octavia dämpfte ihre Stimme noch weiter.
    »Ich bin unendlich froh, dass Sie da sind. Ich habe ein Problem,
kann aber mit niemandem hier darüber sprechen. Ich kann mich doch auf Ihre
Diskretion verlassen?«
    Antonia versicherte Janas Mutter, dass sie sich ihr anvertrauen
könne. Dann folgte sie Florian bedrückt ins Dachgeschoss. Sie ahnte, dass in
diesem Haus Aufgaben auf sie warteten.
    In der Gästewohnung ließ sich Florian seufzend auf das breite Bett
fallen. »Uff! Überstanden!«
    Antonia schüttelte den Kopf. »Ich muss mich doch sehr wundern. Du
hast dich doch glänzend mit Octavia unterhalten, so eine Tortur kann es nicht
gewesen sein.«
    »Ja, sie versteht wirklich etwas von Musik. Sie spielt Klavier und
will zu meinem Konzert kommen. Und hast du den Bechstein im Salon gesehen? Er
wurde gerade überholt. Sie hat mich gebeten, demnächst darauf für sie zu
spielen.«
    »Wie schrecklich, in so einer Familie steht man doch immer unter
Beobachtung! Waren das nicht deine Worte?«
    Antonia hatte die Fensterläden der drei kleinen Schlafzimmerfenster
geöffnet und hielt überrascht inne. Unter ihnen breitete sich der
Giudecca-Kanal aus, auf dem auch am Abend noch ein lebhaftes Treiben von
Vaporetti, Frachtschiffen und Fährbooten herrschte.
    Die Fenster der Räume, die sie bisher kennengelernt hatte, gingen
entweder nach hinten auf den Garten oder nach vorne auf den Kirchplatz von San
Trovaso und die danebenliegende alte Gondelwerkstatt heraus. Die
Schlafzimmerfenster der Gästewohnung befanden sich jedoch auf der anderen Seite
des Palazzos, und die Wohnung lag so hoch, dass man hier über die nächste
Häuserzeile hinweg auf den breiten Giudecca-Kanal sehen konnte. Florian lehnte
sich neben sie, und sie blinzelten eine Weile in die untergehende Sonne.
    »Wer wohl der Mann war, den Jana gegrüßt hat?«, fragte Antonia
nachdenklich. »Auf meine Frage hat sie mir keine Antwort gegeben.«
    »Das ist mir auch aufgefallen. Wahrscheinlich ein Verehrer. Sie ist
rot geworden.«

3
    Florian machte sich am nächsten Tag schon vor neun auf den
Weg zu seiner Probe am Konservatorium. Antonia begleitete ihn bis zur
Accademia-Brücke, weil sie die Morgenstunden in Venedig besonders liebte. Auf
dem Canal Grande funkelten Hunderte von Sonnenprismen, zwischen denen Boote
aller Art ihre weißen Schaumspuren zogen. Die halb verrosteten Linienboote
pflügten sich mit Mühe durch das Wasser, während die kleineren Schnellboote
über den Wellen zu schweben schienen. Die Paläste links und rechts des großen
Kanals lagen noch in einem zarten Dunst, der ihre Konturen weicher machte.
    Antonia und Florian blieben in der Mitte der Accademia-Brücke, ihrem
höchsten Punkt, stehen, lehnten sich an das Geländer und genossen den Anblick,
bevor sie sich voneinander verabschiedeten. Florian ging zu seiner Orgelklasse,
und Antonia lief zurück zur Vaporetto-Station. Hier im Wartehäuschen mit
Büroangestellten und Hausfrauen auf die Linie 1 wartend, fühlte sie sich
plötzlich so glücklich wie lange nicht mehr. Das kleine Haus schwankte sanft
hin und her, und Antonia erinnerte sich daran, dass sie bei ihrem ersten Besuch
das Auf und Ab der schwimmenden Wartehäuser und der Boote noch abends im Bett
gespürt hatte und diese Bewegung über ihre Rückkehr hinaus sogar noch zu Hause
nachwirkte.
    Sie stieg an einer der nächsten Stationen aus und spazierte durch
enge Gassen und über kleine Plätze zum Zattere-Ufer zurück. Von dort wanderte
sie bis zur östlichen Spitze, der Punta della Dogana. Unterwegs entdeckte sie
an einer
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